Small World (German Edition)
gewartet.«
»Warum?«
»Ich muß mit dir reden.«
»Worüber?«
Er hatte es vergessen.
Elvira half ihm. »Hat es etwas mit Koni zu tun?«
Thomas dachte nach. Plötzlich tauchten die Erinnerungen an die letzte Nacht wieder auf. »Du wolltest ihn umbringen.«
»Wer sagt das?«
»Ich habe es gesehen. Es ist auf Band aufgezeichnet.«
Elvira mußte sich setzen. »Konrads Zimmer wird mit Kameras überwacht?«
»Euch war ja nur das Beste gut genug.«
»Was sieht man?«
»Dich, wie du dreimal etwas in seinen Infusionsschlauch spritzt.«
»Und er lebt?«
»Die Nachtschwester hat ihn gerettet. Mit Honig, soviel ich verstanden habe.«
Elvira wurde still.
»Warum hast du das getan?«
Sie gab keine Antwort.
»Warum hast du das getan?«
»Er ist gefährlich.«
»Koni? Gefährlich? Für wen?«
»Für uns. Für dich und Urs und mich. Für die Koch-Werke.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Sein kaputtes Hirn hat sich an Dinge erinnert, die niemand wissen darf.«
»Was für Dinge?«
Vor dem Fenster begann ein neuer Tag, verhangen wie der letzte. Elvira hatte nicht mehr die Kraft zu schweigen.
»Weißt du, wie alt ich war, als ich als Kindermädchen zu Wilhelm Koch kam? Neunzehn. Und er war sechsundfünfzig. In den Augen einer Neunzehnjährigen ein alter Mann. Aufdringlich, versoffen und sechsundfünfzig.«
»Aber du hast ihn geheiratet.«
»Mit neunzehn macht man Fehler. Vor allem, wenn man kein Geld hat und nichts gelernt.«
Es klopfte. Montserrat kam mit einem Tablett herein. Als sie Thomas sah, nahm sie ein zweites Gedeck aus der Anrichte. Elvira und Thomas schwiegen, bis sie wieder allein waren.
»Ich holte Anna ins Haus, damit ich nicht allein war und ihm ganz ausgeliefert. Sie hatte dann die Idee« – Elvira machte eine Pause – »sie hatte dann die Idee, ihn umzubringen.«
Thomas streckte seine Hand nach der Kaffeetasse aus. Aber sie zitterte so, daß er es aufgab. Sie wartete, daß er etwas sagte. Thomas versuchte das Geständnis in seiner ganzen Tragweite zu erfassen.
»Anna hatte eine Ausbildung als Krankenschwester abgebrochen. Sie wußte, wie man das macht, ohne daß es jemand merkt: mit einer hohen Dosis Insulin. Man stirbt an einem Schock. Das Insulin läßt sich nicht nachweisen. Höchstens der Einstich. Wenn man danach sucht.«
Jetzt brachte Thomas Koch hervor: »Ihr habt meinen Vater umgebracht?«
Elvira griff nach ihrem Glas Orangensaft. Ihre Hand war ruhig. Sie hielt es einen Augenblick und setzte es dann ab, ohne daraus getrunken zu haben. »Wilhelm Koch wurde erst nach seinem Tod zu deinem Vater.«
Thomas verstand nicht.
»Nach seinem Tod haben wir euch vertauscht. Wilhelm Koch war Konrads Vater.«
Während sie Thomas Zeit gab, seine nächste Frage zu formulieren, griff sie wieder nach dem Glas. Doch jetzt zitterte auch ihre Hand. Sie stellte es wieder ab.
»Warum habt ihr das gemacht?« gelang es Thomas zu fragen.
»Wir wollten, daß du alles bekommst, nicht Konrad.«
Wieder brauchte Thomas eine Weile, um das zu verdauen. »Aber warum?« fragte er dann. »Warum ich?«
»Mit Konrad verband mich nichts. Er erinnerte mich nur an Wilhelm Koch.«
»Und mit mir? Was verband dich mit mir?«
»Anna und ich waren Halbschwestern.«
Thomas stand auf und ging ans Fenster. Ein eintöniger Dauerregen hatte eingesetzt. »Anna Lang ist meine Mutter«, murmelte Thomas. »Und du – meine Tante.«
Elvira sagte nichts.
Ein paar Minuten stand Thomas nur da und starrte in die regennassen Rhododendren. Dann schüttelte er den Kopf. »Wie kann eine Mutter ihr Kind einfach mir nichts, dir nichts ihrer Halbschwester überlassen?«
»Daß sie in London blieb, war nicht so geplant. Sie hatte sich verliebt. Und dann kam der Krieg.«
»Und wer ist mein Vater?« fragte er schließlich.
»Er ist nicht wichtig.«
Thomas wandte sich vom Fenster ab. »Und was passiert, wenn das herauskommt?«
»Es kommt nicht heraus.«
»Die schalten die Behörden ein.«
»Du und Urs, ihr sprecht mit Simone. Ihr versucht, ihr das auszureden. Um jeden Preis.«
Thomas nickte. »Und du?«
»Ich verreise besser für ein paar Tage.«
Er schüttelte den Kopf und wollte gehen, besann sich aber, umarmte sie und küßte sie auf beide Wangen.
»Geh jetzt«, antwortete sie und drückte ihn fest an sich.
Als er gegangen war, hatte sie Tränen in den Augen. »Dummkopf«, murmelte sie. Dann ging sie ins Bad.
Urs hatte einen Kater, als ihn sein Vater kurz nach sieben weckte. Es war letzte Nacht sehr spät geworden. Er
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