Smaragdjungfer
Blöße geben wollte.
Sie startete den Motor und fuhr los. Sie bog in die Kurt-Schumacher-Straße ein und wenige Meter weiter nach rechts in die Friedrich-Paffrath-Straße Richtung Innenstadt. Nach einer Weile stellte sie fest, dass das innerliche Zittern nachließ. Als sie nach knapp zehn Minuten in der Bismarckstraße ankam, war es fast vollständig verschwunden. Nur ihr Puls ging noch etwas schneller als gewöhnlich. Das allerdings war eine vertraute Begleiterscheinung am Anfang jedes neuen Falles. Ganz sicher hatte es nicht das Geringste mit Christopher zu tun.
Sie musste die Nummer 197 nicht lange suchen. Vor dem seitlich zurückversetzten Eingang des aus roten Ziegeln gemauerten Gebäudes aus der Vorkriegszeit des letzten Jahrhunderts standen uniformierte Kollegen Spalier. Sie hielten die Schaulustigen zurück, die sich sensationslüstern versammelt hatten und darauf warteten, dass etwas Spektakuläres geschah. Am besten irgendwas, das sie aus den unzähligen Krimiserien kannten, die täglich im Fernsehen liefen.
Paula verabscheute die morbide Neugier dieser Leute, die sich an Spektakulärem aufgeilten und keinen Gedanken an das Leid und den sehr realen Tod verschwendeten, der dahintersteckte. Sie nickte den Kollegen zu. Da in der Dienststelle sowohl die Einsatz-und Streifenpolizei wie auch die Fachkommissariate 1, 2 und 5 und die Kriminaltechnik untergebracht waren, musste sie sich den Kollegen nicht vorstellen. Man kannte sich.
»Moin, Leute.« Sie überließ es Rambacher, sich selbst einzuführen.
Der reichte allen die Hand und nannte jedem seinen Namen. Paula konnte sehen, dass die Kollegen das ebenfalls für übertrieben hielten. Außerdem war es völlig unüblich.
»Wo?«
»Erster Stock rechts.«
Sie bedankte sich und stieg die Treppe hinauf. Vor der angegebenen Tür standen zwei weitere Beamte, und ein dritter sprach mit einer Frau in den Vierzigern, die in der Tür zur Nebenwohnung stand.
Während Paula einen weißen Ganzkörperanzug aus Plastik anzog, um den Tatort nicht zu kontaminieren, nahm sie das Bild in sich auf, das sich ihr durch die offene Tür bot.
Das Verbrechen hatte in der Diele stattgefunden. Die Tote, eine Frau Mitte bis Ende zwanzig, lag inmitten von farbigen Glassplittern halb auf der Seite. Ihr dunkelbraunes Haar hatte ihr Gesicht teilweise bedeckt. Trotzdem waren deutlich zwei tiefe Schnitte auf den Wangen zu erkennen. Blut war ihren Hals hinabgeflossen und hatte ihr grünes Seidenkleid durchnässt. Unterhalb des Brustbeins befand sich ein großer Blutfleck. Aus der Wunde unter dem Kleid war eine größere Menge Blut ausgetreten und hatte sich auf den Fliesen der Diele ausgebreitet. Es war verschmiert, was zeigte, dass jemand die Leiche bewegt hatte. Blutige Fußabdrücke führten ins Wohnzimmer.
Paula streifte die tütenartigen Plastikhüllen über ihre Schuhe, zog die Einweghandschuhe an und ging hinein. Rambacher, der sich ebenfalls in den Anzug gezwängt hatte, folgte ihr. Paula zuckte zusammen, als er die Einweghandschuhe beim Anziehen gegen seine Handgelenke knallen ließ. Sie bedachte ihn mit einem bitterbösen Blick.
Im Wohnzimmer war ein Sessel umgekippt. Auf dem Boden lag ein Schmuckkästchen, dessen Inhalt achtlos darum herum verstreut worden war. In einem anderen Sessel hockte ein Mann mit auf den Rücken gefesselten Händen, flankiert von zwei uniformierten Kollegen. Er blickte Paula und Rambacher ohne die geringste Unsicherheit entgegen.
Als Erstes fielen ihr seine Augen auf. Sie waren von einem intensiven und hellen Blau. Augen wie Eis. Sein dunkles Haar bildete dazu einen starken Kontrast. Als Nächstes registrierte sie, dass seine Kleidung – dunkelgrauer Anzug und Mantel, dazu ein Seidenschal in dunklem Grün – keineswegs von der Stange stammte. Wenn sie sich nicht täuschte, war der Anzug sogar maßgeschneidert. An seinem hellgrauen Hemd klebte Blut, ebenso in seinem Gesicht.
»Haben Sie hier das Sagen?«
Paula wurde erst bewusst, dass der Mann sie angesprochen hatte, als er seine Frage wiederholte. Etwas an ihm irritierte sie, ohne dass sie hätte sagen können, was es war.
»Kommissarin Paula Rauwolf vom FK 1. Sie sind?«
»Jerome Kastor. Und völlig unschuldig an dem, was hier passiert ist. Also sagen Sie Ihren Leuten, sie sollen mir die verdammten Handschellen abnehmen.«
Paula tauschte einen Blick mit den beiden uniformierten Kollegen. Die signalisierten ihr, dass Kastors ihnen mit dieser Forderung schon eine Weile auf die Nerven
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