Smaragdjungfer
nickte den uniformierten Kollegen zu.
Die halfen Kastor aufzustehen und führten ihn ab. Paula hatte halb erwartet, dass er sich arrogant dagegen wehren oder zumindest gegen die Festnahme protestieren würde. Doch er ließ sich widerstandslos abführen. Dass er sie unverwandt anblickte, bis er im Flur verschwand, war die einzige Regung, zu der er sich hinreißen ließ. Sie beachtete ihn nicht weiter.
Während sich Majas Team um die Tote kümmerte und sie vorschriftsmäßig entkleidete, nachdem die Fotos von ihrer Lage und den Spuren um sie herum geschossen waren, sah sich Paula weiter im Wohnzimmer um. Sie verschaffte sich auf diese Weise einen emotionalen Eindruck von der Wohnung. Das gelang ihr vor Ort sehr viel besser, als wenn sie sich später nur die Fotos ansah, die der Erkennungsdienst gemacht hatte. Außerdem hoffte sie etwas zu finden, das ihr bei der gleich folgenden Vernehmung von Kastor ein Motiv oder sogar einen Beweis für die Tat lieferte.
Rambacher entdeckte auf einem Beistelltisch ein paar Papiere und warf einen Blick darauf.
»Frau Stojanovic hat offenbar für eine Escort-Agentur gearbeitet.«
Er deutete auf das oberste Blatt, auf dem Severin Escort Service die Begleitungen der letzten zehn Tage abgerechnet hatte.
Das passte zur Kleidung der Toten und zu ihrem teuren Schmuck. Paula bekam große Augen, als sie die Summe las. Demnach verdiente eine professionelle Begleiterin bei Severin in zehn Tagen mehr als sie in einem Monat. Wenn sie allerdings an den Preis dachte, den eine Frau wie Jasmin Stojanovic dafür bezahlen musste, wollte sie um nichts in der Welt mit ihr tauschen.
»Das erklärt, was Kastor ›geschäftlich‹ bei ihr wollte«, fand Rambacher. »Aber wieso hat sie ihn in ihrer Wohnung empfangen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das in der Branche so üblich ist.«
»Noch dazu in Hausschuhen. Kastor war wohl doch mehr als nur ein Kunde.«
Sie sah sich ohne große Hoffnung nach einem Terminplaner um. Dafür würde sie wohl eher nach einem PDA oder Smartphone suchen müssen. Wider Erwarten fand sie einen Planer im Business-Stil mit Kroko-Optik in einem aufklappbaren Sekretär. Der Kalender war voll. Jasmin Stojanovic hatte jeden Tag mindestens zwei bis drei mehrstündige Termine gehabt, seltener nur einen abendfüllenden.
Kastors Name tauchte mindestens einmal pro Woche auf. Etwa ebenso häufig fand sich der Name Graf. Der Mann hatte sie immer für einen ganzen Abend – so wie gestern –, manchmal sogar für ein ganzes Wochenende gebucht. Konnte es sich um den Reeder Witold Graf handeln, der in der ganzen Stadt als Kunstmäzen geschätzt war? Nicht ausgeschlossen, da er auch dafür bekannt war, sich in der Öffentlichkeit gern mit schönen Frauen zu zeigen. Vor allem mit solchen, die mindestens dreißig Jahre jünger waren als er.
Für heute Morgen war jedoch nichts im Kalender eingetragen. Das bestätigte Paulas Vermutung, dass Kastor mehr für die Tote gewesen war als nur ein Kunde.
Sie schlug das Adressverzeichnis auf. Enttäuscht stellte sie fest, dass sich hier nur unverfängliche Adressen, meistens sogar nur Telefonnummern von Geschäften und Dienstleistern befanden: Kosmetikerin, Frisör, Autowerkstatt und so weiter. Es existierte kein einziger privater Eintrag. Wahrscheinlich hatte sie die in ihrem Handy gespeichert. Paula steckte den Kalender in einen Asservatenbeutel und sah sich nach einer Handtasche um.
Auf dem Garderobentisch im Flur lag ein sehr modisches Exemplar achtlos hingeworfen, das dem Label nach zu urteilen eine vierstellige Summe gekostet haben musste. Der Inhalt war auf dem Tisch verstreut. Offenbar hatte Kastor darin zuerst nach dem gesucht, was er so dringend haben wollte. Paula bezweifelte, dass es sich dabei um ein Collier handelte. Eine Frau wie Jasmin Stojanovic trug ihren Schmuck am Körper, besonders wenn er teuer war, und steckte ihn nicht in die Handtasche. Außer Schminkutensilien, einem Autoschlüssel, Ausweis, Kreditkarten und Führerschein, einem Päckchen Papiertaschentüchern, einer Schachtel Kondome, einem Notizbuch, zwei Kugelschreibern und einer Packung Mint-Kaugummis lag hier nichts. Kein Handy, kein Smartphone, kein PDA. Seltsam.
Dafür wies das Notizbuch Blutspuren auf. Sie nahm es vorsichtig in die Hand, um die Spuren nicht zu verwischen, und blätterte darin. Ein paar Seiten in der Mitte waren herausgerissen. An den benachbarten Seiten klebte ebenfalls Blut. Um die Spuren würde sich der Erkennungsdienst kümmern. Auf den
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