Snow Angel
Wehmut, die sie so befürchtet hat, angeht, lässt Felsbrocken von ihrem Herzen fallen. Es kommt eine ganze Menge zusammen. Unten in der Stadt gibt es nichts, was an sie erinnert. Simon war nach dem Umbau allein in das alte Haus gezogen. Aber hier hatte sich das gemeinsame Leben abgespielt und Nina atmet einmal tief durch, als er nun alles zunächst im Holzschuppen verstaut.
Jetzt einen Kaffee auf der Terrasse! Schön in der Sonne sitzen und die Seele baumeln lassen.
Die innere Aufgewühltheit hat sich deutlich beruhigt, und sie ist an dem Punkt angekommen, an dem sie sicher ist, den kleinen Urlaub richtig und mit allen Sinnen genießen zu können. Er kommt zurück, als sie den Kaffee eingießen will und die großen Pötte aus dem Schränkchen nimmt.
„Warum hast du eine dreckige Tasse im Schrank?“
„Das ist keine
dreckige
Tasse“, widerspricht er.
„'türlich, guck doch.“ Nina ist etwas irritiert, denn sie hat noch nie gesehen, dass Simon rot wird und sieht ihn fragend an.
„Das ist die Nina-Gedächtnistasse. Mal abgesehen von dem Kopfkissenbezug, der noch nach dir gerochen hat, war es das Einzige, was ich von dir hier finden konnte, als du abgehauen bist.“
„Unglaublich!“ Lachend schüttelt sie den Kopf. „Wie dämlich waren wir eigentlich? Das darf man ja gar keinem erzählen! Darf ich die jetzt abwaschen und wieder benutzen? Ich werde sie zu meiner Lieblingstasse erklären. Nimmst du den Kaffee schon mit raus? Ich will nur eben noch den Kram ins Bad schaffen und dann endlich Urlaub mit dir machen.“
Simon verschwindet auf die Terrasse und Nina räumt ihre Kosmetika in das winzige Schränkchen über dem Waschbecken. Etwas fehlt.
Ach du Scheiße. Ich hab's mal wieder drauf. Wieder keine Pille mitgenommen. Letztes Mal ist es ja noch mal gutgegangen, aber jetzt haben wir fünf Tage hier in der Wildnis. Ich bin begeistert! Obwohl … vielleicht sollte ich mal mit ihm reden.
„Du, Simon ...“
Er hat es sich schon mit geschlossenen Augen in der Sonne bequem gemacht und weist auf den Stuhl neben sich. „Was ist denn? Setz dich und lass dir die Sonne auf die blasse Nase brennen.“
„Ich muss dir was sagen“, druckst sie.
„Wenn du musst, dann sag! Aber setz dich hin und geh mir aus dem Licht.“
Einen Augenblick sagt sie nichts, beobachtet seine Reaktion. Nach einer Weile scheint ihm die Sache langsam komisch vorzukommen. Simon öffnet die Augen und sieht in ihr ziemlich unentspanntes Gesicht. Sie hat nur mit einer Pobacke auf dem Stuhl Platz genommen.
„Ich habe meine Pille vergessen!“, platzt sie heraus.
Nina wundert sich über sein ausgesprochen breites Grinsen.
„Fein!“
„Wie, fein? Spinnst du?“
„Abgesehen davon, dass die dauernde Hormonfresserei sowieso nicht gesund für dich ist, hätte ich persönlich ja nichts dagegen, etwas deutlich Dauerhafteres zu schaffen als deinen extrem vergänglichen Duft in einem Kopfkissenbezug oder die marginalen DNA-Spuren an einer Kaffeetasse.“
„Wirklich?“ Nina ist platt. Mit dieser Reaktion hätte sie als Allerletztes gerechnet. „Aber was ist mit Studium, Praxis, Geldverdienen?“
Simon lehnt sich gemütlich in seinem Stuhl zurück, faltet die Hände über dem Bauch und blinzelt mit einem ausgesprochen vergnügten Gesichtsausdruck in die Sonne. Nina hockt noch immer angespannt auf der Stuhlkante und wartet auf weitere Erklärungen.
„Wenn alle immer nur daran denken würden, wäre die Menschheit längst ausgestorben. Irgendjemand muss uns schließlich beerben“, sagt er und bemüht sich, ernsthaft zu wirken. Es gelingt ihm schlecht. „Ich überlege bloß gerade, ob mir ein Mädchen oder ein Junge lieber wäre. Natürlich hätte ich gerne eine Nina in Miniaturausgabe. Allerdings könnte selbst ich deinem Vater dann vermutlich spätestens in fünfzehn Jahren noch eine Lektion in Sachen Eifersucht erteilen. Ein Junge wäre fast dasselbe Problem. Dann muss ich mich als älterer Herr ja ständig mit ihm um deine Gunst kloppen. Ach weißt du, wie man es auch dreht, … letztlich ist es egal. Was kommt, wird gefüttert.“
Nina bekommt den Mund nicht mehr zu, als er sich scheinbar völlig zufrieden mit seinen Erläuterungen wieder ganz dem Sonnenbad hingibt. Sie beobachtet ihn kopfschüttelnd. Irgendwann öffnet er langsam ein Auge und grinst sie scheel an. Ehe sie ihrer Empörung Luft machen kann, springt er auf, zieht sie vom Stuhl hoch und wirbelt sie durch die Luft.
„Oh Nina, ich
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