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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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überlegte, wie sie die Patientin an den Stellen untersuchen könnte, die sie selbst bestimmt nicht berührte. Eine normale vaginale Untersuchung war wohl unmöglich, nicht einmal mit einem Spatel. Sie würde alles bei einer rektalen Untersuchung ertasten müssen. Die Frage war, ob sie vorher etwas sagen sollte. Sie drehte sich um und blickte das Mädchen an. Ihre Augen, ein dunkles Himmelblau gegen ein trübes Weiß, waren auf Jo’elas Hand gerichtet, die in einen Gummihandschuh schlüpfte, auf die Cremedose, in die Jo’ela ihre Finger steckte, wandten sich dann aber schnell zur Seite, und bevor sie sich schlossen, blieben sie an dem Poster der Frau mit den entblößten Brüsten hängen, die sich vorbeugte und ihr rosafarbenes Baby anlächelte. »Als ob Frauen nach der Geburt so aussehen«, hatte einmal eine Schwangere gesagt, als sie die Beine auf dem Untersuchungsbett spreizte. »Haben Sie schon einmal eine Frau gesehen, die in so einem Gewand stillt? Wie hat sie überhaupt die Zeit, sich ein Seidennegligé anzuziehen? Außerdem sehen ihre Brüste nach ein paar Kindern auch nicht mehr so aus. Und wenn das ihre erste Geburt war …«
    »Was möchten Sie denn, daß man hier aufhängt, deutsche Expressionisten?« hatte Jo’ela damals gefragt und vorgeschlagen: »Betrachten Sie es einfach als Reklame.«
    Doch wenn man das Poster mit den Augen des jungen Mädchens ansah, lag in der rosafarbenen runden Weichheit der entblößten Brust und der Hingegebenheit des kleinen nackten Körpers und der glatten Haut etwas Ungehöriges.
    Der Schatten der Mutter, die sich demonstrativ hinter dem Vorhang bewegte, um zu zeigen, daß sie noch anwesend war, reizte Jo’ela ebenso, wie die weitschweifige Ausdrucksweise des Rabbiners sie gereizt hatte, der um sechs Uhr morgens angerufen hatte. »Also Sie sagen, um sieben Uhr werden Sie sie anschauen können?« Als handle es sich um eine Militäraktion, von der niemand etwas erfahren dürfe. Und dabei würden sie eine gründliche Untersuchung, um wirklich alles zu erfahren, überhaupt nicht zulassen. Die Diagnose würde die Heiratschancen der anderen Mädchen verderben. Diese hier sei die älteste von fünf Schwestern, hatte die Mutter erklärt, und zwei rote Flecken waren auf dem runden Gesicht unter der schwarzen Kopfbedeckung erschienen. Vielleicht mußte man sagen: »Das sind meine Bedingungen!«, wie Margaliot, der bis vor ein paar Jahren ein von den Rabbinern bevorzugter Arzt gewesen war, und damit riskieren, daß man die geheime Erlaubnis, diese Frauen zu behandeln, verlor. Dieses Mädchen und die Mutter, um sieben Uhr morgens – das war wie damals, als sie bei Beginn der Dämmerung nach Me’a Sche’arim gegangen war, in den zweiten Stock des heruntergekommenen Hauses, über einen schmutzigen Hof mit einem Haufen Steine in einer Ecke, einer offenen Mülltonne neben der Außentreppe, einem rostigen Eisengeländer und weit und breit keinem einzigen Strauch, nur Beton und Müll. Draußen roch es nach Staub, in der Wohnung roch es muffig. Die Tür wurde ihr von einem jungen Mann in langer Unterhose und langem Unterhemd geöffnet, dessen Schläfenlocken hüpften, als er ihr in das Zimmer vorausging. Ein einziges Bett stand in der Ecke, auf dem, ein dickes Kissen unter dem Hintern, die Frau lag, auch sie mit einem schwarzen Kopftuch und kleinen Augen, aus denen Haß funkelte. Auch sie lag starr da, ohne zu atmen, in einem langen, weiten Nachthemd unter der Decke, und als sie ihr einen Vaginalabstrich machte, stieß die Frau zwischen zusammengepreßten Lippen einen unklaren Ton der Mißbilligung aus, als sei Jo’ela Teil einer großen Verschwörung, die gegen sie im Gange war – und dazu Jo’elas deutliches Gefühl, die ganze Zeit beobachtet zu werden, wie in einem Spionageroman. Schon von dem Moment an, als sie das Auto parkte, hatte sie das Gefühl gehabt, als würde sie ständig beobachtet und jeder Schritt, den sie machte, sofort weitergemeldet. Wie jetzt, da die Mutter hinter dem Vorhang stand, schmatzende Geräusche von sich gab und ihrer Tochter, die bewegungslos auf dem Untersuchungsbett lag, irgend etwas zumurmelte.
    Die dünne Papierunterlage raschelte, und die Hand des jungen Mädchens zuckte wie von einem Stromschlag getroffen. Doch ihr Gesicht blieb starr. Jo’ela, die Hand in dem eingefetteten Gummihandschuh, betrachtete die gespannten Muskeln unterhalb der Wangen, am Unterkiefer und die Haare, die straff nach hinten gekämmt und zu einem langen Zopf geflochten

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