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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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waren. Das Mädchen schloß die Augen. Sie glühte vor Scham. Jo’ela blickte sie an, fühlte ihre Angst und ihre Scham und empfand Mitleid. Sie schob dieses Gefühl beiseite, drehte den Kopf weg und sagte: »Bitte zieh die Unterhose aus«, in einem kühlen, bestimmten Ton, als handle es sich um etwas Alltägliches. »Und zieh die Knie an.« Sie hörte das dünne Papier rascheln, als das Mädchen die Beine anzog, und erst dann legte sie das Laken über sie. Hinter dem dünnen Vorhang stand die Mutter, bewegungslos, und murmelte unaufhörlich etwas vor sich hin, was wie Psalmen klang. Der Gedanke an ihre Augen, die ebenfalls dieses dunkle Himmelblau aufwiesen – ein See von Mißtrauen in trübem, gelblichem Weiß – und auf sie gerichtet waren, jede Bewegung ihrer Hände verfolgten, machte alles irgendwie schmutzig und gab ihr das Gefühl, etwas Voyeuristisches zu tun, etwas Aufdringliches, fast Pornographisches. Sie hätte darauf bestehen sollen, daß die Frau im Sprechzimmer wartete. Die Mutter war eine dicke, untersetzte Frau mit großen Brüsten, eingequetscht in dem dunklen Kleid. Es war heiß im Zimmer, und Jo’ela schwitzte unter dem Kittel, doch das Mädchen strömte keinerlei Geruch aus. Etwas Nichtfleischliches war an ihr, etwas Unberührbares. Ihre kleinen Hände, die sich am Rahmen des Untersuchungsbettes festklammerten, waren fast durchsichtig, fast hellblau, und dieser bläuliche Ton wiederholte sich in der Blässe ihres Gesichts, das nicht wirklich männlich war, aber auch nicht weiblich. Im nächsten Monat würde sie sechzehn werden, hatte die Mutter im Sprechzimmer verkündet, und nichts, nichts war bisher gekommen. Sie müßten wissen, ob etwas nicht in Ordnung sei, vielleicht brauchte sie eine Behandlung, wegen der Verheiratung. Und neben dieser Mutter, die etwas säuerlich roch, nach Schweiß und noch etwas anderem, mit dem schwarzen Kopftuch, das ihr Gesicht halb verdeckte, neben diesen runden, roten Wangen und dem schweren Atem stand die Angst, die nichts mit dem Wohlbefinden des Mädchens zu tun hatte, sondern mit ihrem eigenen Versagen. Gegen diese Frau war das Mädchen so blaß, als könne sie sich im nächsten Augenblick in nichts auflösen, wie ein Phantasiegebilde, das in einem Moment auf dem Untersuchungsbett liegt und im nächsten verschwunden ist. Am liebsten hätte Jo’ela angesichts dieser vollkommenen Unterwerfung, dieses geduldigen Wartens auf den Urteilsspruch, das Mädchen geschüttelt und gesagt: Wehr dich doch! Aber sie verstehen es, ihre Kinder zu erziehen, hatte ihre Mutter immer gesagt, dort wirst du nicht hören, daß die Kinder so zu ihren Eltern sprechen. Nicht einen Augenblick lang hatte das Gesicht des Mädchens, während die Mutter sprach – sie selbst gab keinen Ton von sich –, ein Zeichen von Ungeduld oder Verwirrung wegen ihrer plumpen, barschen Sprache gezeigt.
    Das Mädchen hob gehorsam und ergeben mit geschlossenen Knien das Becken. Mit der einen Hand spreizte Jo’ela die Knie, die sich knochig anfühlten, und betrachtete die völlig haarlose Leistengegend und die Schamlippen, die gekerbt und glatt waren wie bei einem kleinen Kind. Das Mädchen schloß die Augen und spannte den Hals an, das Gesicht zur Decke gewandt wie ein Fallschirmspringer, der vor dem Sprung die Augen schließt und nicht erwartet, daß er wirklich durch die Luft gleiten kann. Ich tue dir nichts, wollte Jo’ela sagen, als sie diesen Gesichtsausdruck sah. »Hab keine Angst«, sagte sie plötzlich, »du wirst nichts merken.« Dabei wußte sie selbst, daß es nicht der Schmerz war, nicht das Urteil und nicht die Diagnose, die dem Mädchen angst machten. Jo’ela schrak zurück vor dem blauen Blick unter den weit aufgerissenen, dünnen Lidern, der sie plötzlich traf. Gott weiß, was für Wege die Gedanken in Köpfen wie den ihren einschlagen. »Leg dich auf die Seite, bitte«, sagte sie mit einer Härte, die ihre Abneigung gegen ein Leben verbarg, für das die untere Hälfte des Körpers nicht existiert. Vorsichtig nahm sie den beschichteten Spatel und führte ihn mit großer Zartheit in die Vagina ein. Es gab also eine Vagina. Aber sie ging nicht tiefer, sondern tastete mit einem Finger durch das Rektum nach der Gebärmutter. Und sofort hatte sie ein seltsames Gefühl, als fahre sie in einem Hohlraum herum. Nichts war dahinter. Der Finger tastete hartnäckig weiter nach dem, was eigentlich da sein müßte. Wäre er länger gewesen, hätte er immer tiefer hineintasten können. Eine Leere

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