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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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war da, wo etwas sein sollte und nicht da war. Nicht wie bei Männern. Anders. Es war, als dringe man in ein Grab hinter dieser durchsichtigen Haut. Der Finger suchte nach dem, was da sein mußte. Wehrte sich gegen das Nichts. Sie empfand kein Entsetzen, sondern Forscherdrang. Ein Körper ohne Gebärmutter und ohne sekundäre Geschlechtsmerkmale. Keine Behaarung. Keine Brüste. Bis nach einer Ultraschalluntersuchung ließ sich nichts mit Sicherheit sagen, und eine Untersuchung der Geschlechtschromosomen war ebenfalls erforderlich. Doch sie wußte eigentlich jetzt schon, daß nichts zu finden sein würde. Keine Eierstöcke, nichts. Abklären, erst einmal abklären, sagte sie sich, um die eigene Aufregung abzukühlen. Bei aller Achtung vor Intuitionen, hör auf, in dem Hohlraum herumzusuchen. Mit einer schnellen Bewegung, bevor ihr Widerwillen sichtbar wurde, drehte sie sich um, zu der Schublade mit den Spritzen. Ohne Eile holte sie den Arm unter dem Stofflaken hervor, desinfizierte die Stelle und stach in die Vene.
    Hinter dem Vorhang hörte die Mutter zu murmeln auf, als das Mädchen bei der Spritze einen Schrei ausstieß. Einen kleinen Schrei, das war alles. »Ich brauche nur ein bißchen Blut, zur Untersuchung«, sagte Jo’ela zu dem Mädchen und winkelte ihr den Arm ab, nachdem sie einen Wattebausch auf die Einstichstelle gedrückt hatte. Vorsichtig füllte sie das Blut in ein Reagenzglas. Sie wußte schon, daß sie sonst nichts mehr zulassen würden. Und schon jetzt lehnte sie sich gegen den wahrscheinlichen Verlauf der Dinge auf.
    Dann saßen sie wieder am Schreibtisch. »Es sind weitere Untersuchungen nötig«, sagte Jo’ela vorsichtig, und dann, in autoritärem Ton, um dem erwarteten Widerstand vorzubeugen, schlug sie vor, das Mädchen stationär aufzunehmen. Die Mutter verzog den Mund, ihre Oberlippe näherte sich der Nase, und zwischen den kleinen Augen erschien eine einzige Falte, die alles Mißtrauen der Welt ausdrückte. »Man kann nichts wissen, ohne genauere Untersuchungen«, sagte Jo’ela.
    »Ich muß mit meinem Mann sprechen«, sagte die Frau, als Jo’ela ein Einweisungsformular vom Block abriß.
    »In welcher Krankenkasse sind Sie versichert?« fragte Jo’ela, als ginge es nur darum.
    »Ich muß mit meinem Mann sprechen«, wiederholte die Frau, griff aber mit spitzen Fingern nach den Formularen, die ihr Jo’ela hinhielt.
    Jo’ela wandte sich an das Mädchen. »In welcher Schule bist du?«
    Das Mädchen starrte auf die Wand hinter Jo’ela. Ihr Blick war noch undurchdringlicher als vorher. Hinter Jo’elas Rücken hing ein Kalender. Das Mädchen drehte sich um und kniff die Augen zusammen, als sie die Zeichnung von Ana Tiko betrachtete, die Berge von Jerusalem, die Jo’ela vor Jahren von einer Wöchnerin geschenkt bekommen hatte.
    »Beit Ja’akow«, antwortete die Mutter. »Sie lernt sehr gut.«
    »Schön«, sagte Jo’ela, und ihr kam der Gedanke, ob sie nicht den praktischen Rat geben sollte: Diese Seite mehr entwickeln, denn eine andere würde es nicht geben. »Du brauchst eine Brille«, sagte sie schnell zu dem Mädchen, das wieder die Augen zusammenkniff. »Wann hat man deine Sehfähigkeit kontrolliert?«
    »Sie hat eine Brille«, sagte die Mutter. »Sie benutzt sie nur nicht. Nur manchmal in der Schule.« Sie beugte sich vor über den Schreibtisch. »Sagen Sie mir, mein Mann besteht darauf, es zu erfahren: Wird sie in der Lage sein, den ehelichen Verkehr auszuüben? Das ist es, was wir abklären wollen.«
    Das Mädchen blieb unbewegt, als wäre vom Tisch die Rede.
    »Ich kann noch nichts sagen, ohne weitere Untersuchungen«, sagte Jo’ela in feindseligem Ton. Man mußte drängen, sie dazu zwingen, das Mädchen hierzulassen, sonst würde sie verschwinden und nie wiederkommen. Aber sie fand nicht den richtigen Ton. Der Hühnerblick der Mutter machte sie wütend. Natürlich könnte sie einfach sagen: Wenn Sie nicht wollen, dann lassen Sie es. Doch da war das Mädchen! Sie hatte den Kopf auf dem dünnen Hals gesenkt. Ihretwegen mußte man stur bleiben. Sie saß da und schwieg, während das Urteil über sie gesprochen wurde. Und ausgerechnet ihr Schweigen, ihre Ergebenheit, ihr Aufgeben reizten Jo’ela dazu, sich für sie einzusetzen, sie aus diesem Verzichten herauszuziehen. Sie empfand den Drang, sich zu wehren, zu protestieren. Am liebsten hätte sie sich hinter die gebeugten Schultern gestellt und an dem Mädchen gezogen. Aber – sie gehören zu einer anderen Welt. Es wäre schade um

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