So habe ich es mir nicht vorgestellt
untersuchen«, sagte Jo’ela in energischem Ton und mit einer Art gespielter Fröhlichkeit, wie sie es immer tat, wenn sie, noch bevor sie es genau wußte, bereits den Verdacht hatte, daß sie nicht helfen konnte.
»Nun mach schon«, sagte die Mutter auf Jiddisch. Und Jo’ela betrachtete fasziniert und erschrocken die kreideweiße Stirn, und eine Art uralte, vergessene Furcht vor dem Eintritt in diese verschwommenen Welten erschütterte sie, als wisse sie auf irgendeine diffuse Art, die nie im Leben zu beweisen wäre, daß diese breite Stirn ein Zeichen war – oder eine Entschädigung – für etwas anderes, sehr Schmales oder überhaupt nicht Existierendes, Dinge, die sie nie irgend jemandem in der Station gegenüber äußern könnte.
»Doktor Goldschmidt«, kam es aus dem Piepser, »Sie werden beim Ultraschall erwartet.«
Aber Jo’ela stand neben dem Untersuchungsbett, rührte sich nicht und ging nicht zum Telefon. Sie mußte unbedingt erfahren, was sich unter dem Flanellhemd befand, obwohl sie eigentlich, noch bevor das Mädchen sich daran machte, die Knöpfe zu öffnen, bereits wußte, was sie zu sehen bekommen würde. Die vorgebeugte Haltung der hochgewachsenen Gestalt im Türrahmen hatte verdeckt, was nicht da war. Ihre Lippen verzogen sich. So etwas hatte sie noch nie gesehen, das wußte Jo’ela, während sie die Halswirbel abtastete und sich überzeugte, daß kein einziger fehlte.
Früh am Morgen, bevor die Station zum Tagesdienst erwacht war, bevor sich die Flure mit wartenden Frauen gefüllt hatten, hatten die beiden, Mutter und Tochter, das Sprechzimmer betreten. Sie selbst hatte im Gehen den Kittel angezogen. Wie eine Holzpuppe, mit starren Beinen, den Körper vorgeneigt, gesammelt, die Arme am Körper herunterhängend, hatte das junge Mädchen in der Tür gestanden, hatte sich, als würde sie einem Gericht vorgeführt, neben ihre Mutter gesetzt, vor den Schreibtisch. Später hatte die Mutter neben dem Untersuchungsbett gestanden, die Oberlippe fast zur Nase hochgezogen, und hatte mit einer zornigen Bewegung den karierten blauen Rock über den Beinen des Mädchens hochgerissen, mit einer harten Bewegung, als rupfe sie die lose Haut von einem mageren Hühnerschenkel, und mit abgewandtem Blick, als enthülle sie eine große Schande – zuerst bis zu den Knien, dann vorsichtig etwas höher, bis zu den breiten Gummibändern, mit denen die schwarzen Wollstrümpfe an den mageren Oberschenkeln des Mädchens festgehalten wurden. Und schließlich zog sie mit einer einzigen Bewegung den Rock ganz hoch, entblößte die weißlichgrauen Trikotunterhosen, zwischen deren Rand und den Strümpfen ein Streifen blasser, bläulicher Haut zu sehen war.
Als das Mädchen so dalag, ohne die Schultern vorzuschieben und den Brustkorb einwärts zu ziehen, wußte Jo’ela, daß nicht einmal ein Hauch von Brüsten zu sehen sein würde. Sie blickte zur Mutter hinüber und sagte ihr, sie solle zur Seite gehen, bevor sie den Vorhang zuzog. Auf der anderen Seite des trennenden Stoffes war die schwere Silhouette deutlich zu sehen, auch die Bewegung, mit der der Kopf mit dem straff gebundenen Tuch zur Seite geneigt wurde. Kein einziges Haar lugte heraus, die Frau war kahlrasiert. Jo’ela hätte immer gerne gefragt – ohne es je zu wagen –, ob die Frauen nachts die Kopftücher abnahmen und was dann mit ihren kahlen Köpfen passierte. Sie sah eine ausgestreckte Hand vor sich, die bei der Berührung des kahlen Frauenkopfes innehielt und zurückschreckte, und schüttelte den Kopf, als könne sie so die Gedanken loswerden, die nichts mit diesem Fall zu tun hatten, romantische Vorstellungen, die nicht hierher gehörten, sondern zu etwas anderem, über das sie heute nicht nachdenken wollte. Das Mädchen machte einen tiefen Atemzug. Ihre langärmlige karierte Bluse war tief in den Rock hineingesteckt. Jo’ela würde sie bitten müssen, die Bluse auszuziehen, doch das konnte vielleicht warten. Nein, es konnte nicht warten. »Mach bitte die Bluse auf.« Das Mädchen öffnete die Augen nur halb und tastete mit der linken Hand nach den Knöpfen. Jo’ela schob das Unterhemd hinauf. Zwei zarte rosafarbene Brustwarzen, wie bei einem Baby, auf der weißen, glatten Fläche. Das war’s. Keine sekundären Geschlechtsmerkmale, notierte Jo’ela. »Heb die Arme hoch«, sagte sie und warf einen Blick auf die Achselhöhlen, betastete die Drüsen.
Um die Angst des Mädchens etwas zu lindern, verlangsamte Jo’ela ihre Bewegungen, während sie
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