So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
dieser Erde nicht mehr sehen wird, ist einfach kaum zu ertragen.
Ob das, was danach kommt, dann problemlos ablaufen wird, kann niemand beurteilen. Das weiß man nicht. Da gibt es wahrscheinlich auch Leute, die sich deswegen nicht so quälen wie ich. Ist ja auch völliger Schwachsinn, sich zu überlegen, ob man nach seinem Tod im Himmel schwebt oder in der Hölle schmort. Auf diese ganzen Spielchen mit der Hölle kann ich hoffentlich bald mal kotzen; das schaffe ich immer noch nicht, weil ich immer noch mit diesem Schuldbewusstsein herumrase. Aber das ist eigentlich keine schlechte Perspektive für die Zukunft. Irgendwann brauche ich mir hoffentlich keine Gedanken mehr zu machen, ob ich nachher als grünes Hündchen an irgendeinem Grill hänge.
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Samstag, 20. April
Zurzeit kommen mir diese zwölf Wochen Chemo, die noch vor mir liegen, wie ein endloser Tunnel vor. Und dann versuche ich, mich da durchzujagen, los, los, das muss doch schneller gehen, ich will, dass das wieder so wird wie früher.
Ich komme mir vor wie jemand, der sich zwei Steine an die Beine gebunden und eingeredet hat: Jetzt läufst du halt langsamer, das ist ein echt neues Erlebnis. Aber ich meine, nach zehn Kilometern sagt doch jeder, vielen Dank, war interessant, aber jetzt nehme ich mir die Steine lieber wieder ab. Das kann ich eben nicht, diese Freiheit habe ich nicht mehr – auch nicht, wenn die Chemo irgendwann vorbei ist.
Die zentrale Frage muss daher sein, wie ich diesen alten Halligalli-Christoph mit seinem Bedürfnis, wahrgenommen zu werden und überall dabei zu sein, umbauen kann. In den letzten drei Monaten ist ja schon einiges von dem, was gar nicht mehr geht, abgebröckelt. Aber die Aufgabe wird sein, weitere Seile loszulassen und einen Weg einzuschlagen, der wahrscheinlich nicht mehr viel zu tun hat mit dem, den man mal gegangen ist. Dem hinterherzutrauern bringt nichts. Das ist gewesen, und das ist traurig, aber das ist eben so. Mit 500 Mann in der Oper irgendwelche Kämpfe auszufechten, geht zurzeit nicht, geht vielleicht nie mehr. Der nächste Schritt muss sein zu schauen, was man in seiner Eigenart noch so tun kann, auf welchem anderen Gebiet man tätig werden kann. Mehr ist es ja nicht.
Also, Christoph, versuch es doch, schreibe oder male irgendetwas, schau, dass du deine Sachen in Gedanken weiterführst. Und wenn du nicht mehr kannst, dann machst du halt eine Pause. Oder du schreibst drauf: »Pause«. Nur so geht es doch. Dieses Festhalten an der Vergangenheit ist ja nur eine Versteifung, die nicht mehr funktioniert. Es kann eben nicht mehr so sein wie früher. Es ist eine Wandlung im Gange. Das macht dich traurig, weil du nicht mehr alles machen kannst, aber vielleicht macht es dich auch stark. Wenn du dir irgendwann sagen kannst, ja, du hast bis zum Schluss gewurschtelt, an deinen Sachen gebaut, immer so wie du konntest.Vielleicht ist das der Weg: Raus aus dem Trubelfaktor, Schluss mit diesem Bedürfnis, überall noch mitzujückeln, Schluss mit dem Geschrei: »Ja, wo bin ich denn da? Ich muss doch auch dabei sein.« Nein, musst du eben nicht. Bist du eben nicht dabei. Bist du eben auf eine andere Art dabei.
Ja, genau darum muss es gehen. Es muss darum gehen, einen Weg zu finden, auf andere Art und Weise dabei zu sein. Wie alle möglichen Leute, die Kummer haben, weil sie krank sind und nicht wissen, wie sie ihren Job weitermachen oder ihre Kinder versorgen sollen. Ich bin ganz sicher, dass alle Menschen, die krank sind, sich fragen, wie sie sich einen Teil ihrer Autonomie zurückerobern können, auf welche Art und Weise sie wieder an ihren Platz in der Welt zurückkehren können. Wie sie aus der Ächtung durch diese Gesellschaft rauskommen, die einem vermittelt, man sei kein produktiver Faktor mehr. Wie sie sich dagegen wehren können, gnädigerweise noch einen Platz am Ausgang zugewiesen zu bekommen, von wo aus sie vielleicht noch ein bisschen zugucken können.
Nein, das darf eben nicht sein. Jede Krankheit ist eine Kraft, die zur Schöpfung gehört, sie ist ein Teil dieser Schöpfung, die man nicht einfach wegsperren darf. Und die Frage ist, wo und wie man diese Kraft einsetzt. Für mich ist wahrscheinlich die bildende Kunst ein guter Weg, dann kann ich mir auch mal erlauben, Wochen nur am Tisch zu sitzen und dort zu arbeiten. Und wenn ich doch noch mal eine Großveranstaltung wie eine Oper auf die Beine stellen sollte, dann muss man eben sehen, wie das unter den neuen Bedingungen geht.
Du musst aus dem,
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