So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
Entwicklungsstufe. Nach der Erschütterung, dass alles zu Ende sein soll, nach der Distanzierung von der Welt, die ich unter dem Motto »Ich nehme daran nicht mehr teil« aufgebaut habe, gewinne ich dieser Distanz nämlich gerade etwas Positives ab. Denn ich kann sie ja auch in eine Bereitschaft transformieren, besser hinzuhören und hinzuschauen. Das heißt: Ich muss nicht auf die Welt blicken, um in Trauer dahinzuschmelzen, sondern ich kann versuchen, Neues zu erleben. Eigentlich habe ich durch diese Zwangsberuhigung der letzten Wochen, die ja gleichzeitig sehr turbulent ist, auch die Chance, mir zu sagen: Das höre ich mir mal genauer an, was die da für Geräusche machen. Oder: Ich höre mir mal genauer an, was der Mann da sagt. Dieser Stimme höre ich jetzt genauer zu.
Na ja, mal sehen, manchmal habe ich halt diesen Elan, dann werde ich wieder müde. Es geht rauf und runter, aber zarter als die letzten Wochen. Meine Stimme ist heiser, ich schwitze ziemlich stark und habe oft Schluckauf. Aber das ist alles nichts Beunruhigendes. Jetzt sehen wir mal, was der Tag noch bringt.
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Donnerstag, 17. April
Ich bin wieder in der Klinik und soll gleich die nächste Packung Chemo kriegen. Das Wochenende war grauenhaft, ich habe nicht mehr gewusst, wie es weitergehen soll. Körperlich war es gar nicht so schlimm, aber meine Seele ist völlig eingebrochen. Alle reden vom Kotzen, alle reden von körperlichen Zusammenbrüchen – das ist bei mir bis jetzt alles nicht das Thema. Das heißt nicht, dass es bei anderen Menschen auch so sein muss. Ich würde niemandem mehr erzählen: Ach du Scheiße, das wird furchtbar, oder auch: Alles nicht so schlimm und ich weiß nicht was. Jeder Krebs ist anders, jede Chemotherapie ist anders, und die Reaktionen darauf sind ganz individuell. Das können auch die Ärzte vorher nicht wissen. Und es gibt Tausende von Nebenwirkungen, ich habe zum Beispiel heute starke Atemnot. Aber ich würde niemals zu jemandem sagen: Ach Gott, ja, da haben Sie nachher schreckliche Atemnot. Schauen Sie, dass Sie Sauerstoffflaschen im Keller haben. Das wäre totaler Unsinn.
Jedenfalls war ich amWochenende in einem Zustand, den ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt habe. Das ging schon beim Aufwachen los:Von der ersten Sekunde an war da diese absolute Unfähigkeit, mich auf irgendeine Hilfsinsel zu flüchten. Also irgendetwas zu machen, was man normalerweise in größter Not tut, zum Beispiel wegzurennen, wenn es brennt. Es war wie der Aufenthalt in einer kleinen Hölle, weil ich keine Möglichkeit mehr sah zu entkommen oder irgendeine Hoffnung zu sehen. Ich wusste nicht mehr, wo eine Fluchttür ist, wo etwas Schönes, ein Licht sein könnte, wo sich irgendeine Zukunft befindet. Aino sagte zum Beispiel irgendwann: »Komm, zieh doch diese Schuhe an, die sind besser.« Und schon bekam ich einen Heulkrampf, weil wir diese Schuhe zusammen in Wien gekauft hatten und für mich in dem Moment klar war: Es wird nie mehr Schuhe kaufen geben, es ist alles völlig sinnlos, es wird überhaupt nichts mehr geben.
Es klappte auch nichts von dem, was ich mir so schön vorgenommen hatte. Ich konnte mich nicht an den Schreibtisch setzen, nicht lesen, keine Musik hören, niemanden anrufen. Ich habe einfach gar nichts mehr gemacht. Aino hat noch versucht, mich aus der Reserve zu locken, aber irgendwann wurde auch sie echt nervös und bat mich, doch eine Beruhigungstablette zu nehmen. Das habe ich auch noch nie bei ihr erlebt, dass sie sagt: »Komm, jetzt nimm das mal.« Ich habe tatsächlich eine der Tabletten genommen und bin auch eine halbe Stunde später eingeschlafen. Hat aber letztlich auch nicht geholfen: Fünf Stunden später war ich wieder wach und habe gleich weitergeheult.
Was Aino in diesen zwei Tagen mit mir durchgestanden hat, war wirklich der absolute Horrortrip. Ich habe dagesessen wie so ein Senfgaskandidat aus dem ErstenWeltkrieg und nur noch gezuckt, gewimmert und gezittert. Ich darf mir gar nicht vorstellen, was es bedeuten würde, das alles alleine durchziehen zu müssen. Es war sicher auch die übliche Panik und Hysterie dabei, aber zu einem großen Teil war es ein völlig fremdartiger Zustand. Es gab keine Chance mehr, Distanz zu sich zu entwickeln. Und vor allem keinerlei Hoffnung auf ein Morgen. Normalerweise kann man sich ja Wasser ins Gesicht schütten und sich sagen: Na ja, das war jetzt scheiße, mache ich morgen besser. In diesem Zustand war das nicht mehr möglich, ich war so in meinen
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