So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
erzählt und sie fragte mich: »Was ist denn das für ein Hund? Und was will der Hund von Ihnen?« Da habe ich gemerkt, dass es eher ein kleiner Kläffer ist, keine Bulldogge. Aber es ist einer, der immer wieder kläfft: »Du kommst hier nicht mehr auf den Hof, du bleibst draußen.« Er lässt mich also nicht mehr auf den Hof, gleichzeitig jagt und treibt er mich und bellt: »Du musst aber wieder etwas schaffen, sonst gibt es dich nicht mehr, sonst bist du ja gar nicht mehr da.«
Das sind alles Bilder, Gedanken und Gespräche, die mir bei der Angstverarbeitung helfen. Die mir helfen, nicht einfach nur den Gongschlag zu hören und gelähmt rumzuliegen. Aber eins ist klar: Es funktioniert nur, wenn man den Kontakt zu sich selbst behält.
Nach dem Tod ist die Welt gelöscht.
Im Hof der Klinik ist mir heute ein Mann begegnet, der schon fast wie ein Totenkopf aussah. Wenn man hier unterwegs ist und all diese Schwerkranken trifft, fragt man sich ständig, was den Menschen eigentlich am Leben hält. Was ist das eigentlich, warum man so am Leben hängt? Wahrscheinlich liegt es daran, dass man tief in sich drinnen weiß: Wenn du hier die Augen zumachst, ist diese Welt wirklich weg. Sie ist verschwunden, sie ist nicht mehr da. Da bin ich ganz sicher: Man kann noch so viele Fenster im Himmel einbauen und noch mal runtergucken oder was weiß ich was, die Welt ist nach dem Tod definitiv gelöscht. Die ist weg, einfach gelöscht. Feierabend. Und dann kommst du vielleicht als Stein oder als Wurm wieder auf die Welt, vielleicht bleibst du auch ganz weg und hängst in anderen Zusammenhängen rum. Aber der Punkt ist, es ist vorbei. Ob du anschließend als Engel oder als Materieklumpen rumschwebst, oder ob du verwandelt wieder auf der Erde rumläufst, weiß kein Mensch und das soll auch offen sein.
Und ob man dann glücklicher ist – ich habe keine Ahnung.Vielleicht ist man glücklicher, vielleicht ist man unglücklicher. Aber das interessiert mich jetzt auch nicht. Mich interessiert das Begreifen, dass diese Situation hier, zum Beispiel diese Konstellation mit Aino, definitiv vorbei sein wird. Das schoss mir gestern durch den Kopf, als wir im Auto unterwegs waren, um zu einem italienischen Restaurant in der Nähe von der Klinik zu fahren. Wenn ich tot bin, sitzt keine Aino mehr am Steuer und kutschiert mich, dann sitzen wir auch nicht mehr rum und quatschen und lachen. Und die Leute im Restaurant, der Käfer und die Blume da draußen sind auch definitiv weg. Irreversibel. Das ist dann ein anderer Zustand. Da bin ich fest von überzeugt, dass man dann in einen Aggregatzustand übergeht.
Und sollte man tatsächlich wiedergeboren werden oder was weiß ich wie verwandelt zurückkehren, dann ist man selbst so dermaßen gelöscht, dass man keinerlei Zugang zu seinem früheren Leben hat. Ich glaube, wer tot ist, ist tot. Dann sitzt man demnächst vielleicht in irgendeiner Raststätte rum und schreit mit Lkw-Fahrern die neuesten Witze runter. Das ist auch ein Leben, ein Verbundsystem, und das ist genauso wichtig und richtig. Oder ich werde eben ein Leben führen wie der ziemlich schräge Typ in dem italienischen Restaurant, der in einer unglaublichen Lautstärke zum Nachbartisch rüberbrüllte, welche Citroëns er schon gefahren habe, dass Mercedes-Fahrer hochnäsig seien und der Opel nicht gut auf der Straße läge. Seine kranke Frau saß stumm daneben. Früher hätte ich sicherlich gefragt, ob er ein bisschen leiser sein könne, hätte mich über ihn aufgeregt. Aber jetzt sitze ich da und denke, ja, okay, das ist auch eine Existenz, das ist sein Lebensprinzip, das ist seine Welt.
Und das könnte deine Zukunft sein. Das könnte dein Leben sein. Und man wird gar nicht wissen, wie trivial und schrecklich man das früher gefunden hätte. Es ist dann normal, sich über Autos zu echauffieren. Ob sich das, was meine Seele ausgemacht hat, dann noch mal woanders bündelt – keine Ahnung.Aber wie auch immer der nächste Zustand aussehen wird, er hat seine volle Berechtigung im Dasein, ist weder besser noch schlechter, sondern ist in seiner Normalität einfach da.
Jedenfalls muss jeder Einzelne irgendwann feststellen, dass seine Konstellation hier endgültig beendet ist. Auf Wiedersehen, winke, winke. Deswegen kleben wir wahrscheinlich so am Leben. Da ist es ganz egal, ob man ein gläubiger Mensch ist oder nicht: DieVorstellung, dass diese Welt gelöscht sein wird, dass die geliebten Menschen weg sein werden, dass man all die Schönheit
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