So soll er sterben
dieser Mann… sie sagte zu uns, er habe ein bisschen zwielichtig ausgesehen.«
»Zwielichtig?«
»Genau genommen hat sie gesagt, er habe wie ein Zuhälter ausgesehen.« Er schaute Siobhan an. »Sie wissen schon, wie diese Typen aus Filmen und dem Fernsehen: Sonnenbrille, Lederjacke… teures Auto.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob uns das irgendwie weiterhilft«, entgegnete Siobhan und bereute das »uns« sofort, durch das sie das Anliegen der beiden auch zu ihrem gemacht hatte.
»Ishbel ist eine echte Schönheit«, sagte Alice. »Das wissen Sie bestimmt noch. Was für einen Grund kann sie gehabt haben zu verschwinden, ohne auch nur ein Wort zu sagen? Warum hat sie die Bekanntschaft mit diesem Mann vor uns verheimlicht?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, da steckt irgendwas dahinter.«
Einen Moment lang herrschte am Tisch Stille. Als der Kellner dem Geschäftsmann die Tür aufhielt, klingelte erneut dessen Telefon. Der Kellner machte eine leichte Verbeugung. Jetzt befanden sich nur noch drei Gäste im Café.
»Ich weiß wirklich nicht, wie ich Ihnen helfen könnte«, sagte Siobhan zu den Jardines. »Glauben Sie mir, ich würde, wenn ich könnte…«
John Jardine hatte die Hand seiner Frau ergriffen. »Sie waren damals sehr freundlich zu uns. Mitfühlend und so. Wir haben das zu schätzen gewusst, und Ishbel auch… Darum wenden wir uns an Sie.« Er musterte sie mit seinen trüben Augen. »Wir haben schon Tracy verloren. Ishbel ist das einzige Kind, das wir noch haben.«
»Nun…«, Siobhan holte tief Luft, »ich höre mich ein bisschen um, vielleicht weiß jemand etwas über Ishbels Verbleib.«
Seine Gesichtszüge entspannten sich. »Das ist wirklich großartig.«
»Großartig ist sicher eine Übertreibung, aber ich werde tun, was ich kann.« Da Alice Jardine Anstalten machte, wieder nach ihrer Hand zu greifen, stand Siobhan auf und schaute auf die Uhr, so als hätte sie gleich eine wichtige Verabredung auf dem Revier. Der Kellner kam, und John Jardine bestand darauf, die Rechnung zu bezahlen. Siobhan öffnete die Tür.
»Manchmal wollen Menschen eine Weile allein sein. Sind Sie sicher, dass sie nicht doch irgendwelche Probleme hatte?«
Die Eheleute sahen sich an. Es war Alice, die zu sprechen begann. »Er ist wieder in Banehall. Läuft großkotzig durch die Gegend. Vielleicht hat das etwas damit zu tun.«
»Von wem sprechen Sie?«
»Cruikshank. Er hat bloß drei Jahre abgesessen. Ich habe ihn neulich beim Einkaufen gesehen und bin schnell in eine Seitenstraße, weil ich mich übergeben musste.«
»Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Ich würde ihn noch nicht einmal anspucken.«
Siobhans Blick fiel auf John Jardine, aber der schüttelte den Kopf.
»Ich würde ihn umbringen«, sagte er. »Sollte ich ihm je über den Weg laufen, müsste ich ihn umbringen.«
»Seien Sie vorsichtig, zu wem Sie so etwas sagen, Mr. Jardine.« Siobhan überlegte einen Moment. »Wusste Ishbel davon? Dass man ihn entlassen hat, meine ich.«
»Die ganze Stadt weiß es. Und nirgendwo wird so viel getratscht wie in einem Friseursalon.«
Siobhan nickte. »Also… wie ich schon sagte, ich werde ein paar Leute anrufen. Ein Foto von Ishbel wäre hilfreich.«
Mrs. Jardine griff in ihre Handtasche und zog ein zusammengefaltetes Stück Papier heraus. Es war ein Computerausdruck eines auf A-4-Format vergrößerten Fotos. Ishbel saß auf einem Sofa, ein Glas in der Hand, die Wangen vom Alkohol gerötet.
»Das Mädchen neben ihr ist ihre Kollegin Susie«, erklärte Alice Jardine. »John hat es vor drei Wochen bei einer kleinen Feier aufgenommen. Ich hatte Geburtstag.«
Siobhan nickte. Ishbel hatte sich seit ihrer letzten Begegnung verändert. Ihr Haar war jetzt blond gefärbt und länger als damals. Außerdem schien sie stärker geschminkt zu sein und hatte trotz des Lächelns einen härteren Gesichtsausdruck. Man sah den Ansatz eines Doppelkinns. Das Haar trug sie in der Mitte gescheitelt. Es dauerte einen Augenblick, bis Siobhan begriff, an wen Ishbel sie erinnerte. An Tracy: die langen blonden Haare, der Scheitel, der blaue Eyeliner.
Sie sah genauso aus wie ihre tote Schwester.
»Danke«, sagte Siobhan und steckte das Foto in die Tasche.
Siobhan erkundigte sich, ob die Jardines immer noch unter derselben Telefonnummer zu erreichen waren. John Jardine nickte. »Wir sind in ein anderes Haus im selben Viertel gezogen, konnten aber die Nummer behalten.«
Selbstverständlich waren sie umgezogen. Wie hätten sie es auch ertragen
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