So still die Nacht
und schließlich in eins ihrer drei faden schwarzen Kleider. Es bürstete und frisierte ihr außerdem das Haar, bevor es ihr eine Tasse Tee einschenkte und sie wieder allein ließ.
Mina hatte noch nie zuvor die Gelegenheit gehabt, die Hilfe eines Dienstmädchens zu genießen. Sie hatte sich erst daran gewöhnen müssen. Weil sie mit ihrem Vater so viel gereist war – und sie sich einen solchen Luxus niemals hätten leisten können –, hatte sie immer selbst für sich gesorgt. Seit sie bei der Familie wohnte, konnte sie nicht umhin, sich verwöhnt zu fühlen. Zu ihrer Überraschung gefiel es ihr ziemlich gut.
Sie öffnete eins der Fenster und drückte es auf. Draußen sangen Vögel in den Bäumen, und Kutschen rollten auf der Straße vorbei. Als sie sich zu ihrer Teetasse umdrehte, fiel ihr Blick auf die lederne Mappe in der Ecke, gefüllt mit den Notizbüchern und Papieren ihres Vaters. Das Lächeln auf ihrem Gesicht erstarb. Sie hatte sie den ganzen Weg von Nepal bis hierher bei sich getragen und sie nie aus den Augen gelassen. Sie hatte sie auf der Schiffsreise zurück nach England sogar mit in ihre Koje genommen. Eines Tages würde sie die Tagebücher öffnen und beginnen, die Notizen ihres Vaters zu ordnen und zu transkribieren. Danach würde sie daraus, wie sie es seit dem Tod ihrer Mutter immer getan hatte, einen Beitrag für die Königliche Geografische Gesellschaft machen – unter dem Namen ihres Vaters, posthum natürlich –, aber sie war noch nicht bereit, sich dem zu stellen.
Stattdessen genoss sie eine Scheibe Toast mit Marmelade und eine zweite Tasse Tee. Sie wickelte einige Würstchen in eine Serviette, trat in den Flur hinaus und ging die Treppe hinunter. Das Haus war still, und sie sah nur Diener. Wahrscheinlich waren Lucinda und die Mädchen bereits zu ihrem täglichen Morgenspaziergang im Park aufgebrochen.
Vor zwei Tagen, während sie im Wintergarten gelesen hatte, waren ihr drei Paar grüne Augen aufgefallen, die sie aus dem Gebüsch an der hinteren Gartenmauer beobachtet hatten. Einige Sekunden später hatte sich Mina hingehockt und ihre Röcke gerafft, damit das Rascheln ihrer Unterkleider die scheuen Katzen nicht vertrieb.
»Kommt her, meine Lieblinge.« Sie faltete die Serviette auseinander und legte die Würstchen auf die Pflastersteine. »So ist es gut. Ich habe euch Frühstück gebracht, aber pssst, verratet es nicht. Ich glaube nicht, dass die Köchin es gutheißen würde.«
Schon bald blinkten grüne Augen aus dem schattigen Gebüsch. Schließlich tauchte eine kleine, glänzend schwarze Katze auf. Mit der Anmut einer Königin drehte sie Mina den Rücken zu, setzte sich hin und ignorierte die Würstchen mit vielsagendem Blick.
Eine zweite Katze erschien und strich um ihre Röcke, während eine dritte mit der Tatze nach den Würstchen schlug und sie beschnupperte, bis sie sich schließlich darauf stürzte und die Zähne in eines davon senkte. Mina schlang die Arme um die Knie. Sie versuchte nicht, die Tiere zu streicheln. Sie waren wild und lernten noch zu vertrauen.
Sie hatte Tiere immer geliebt – selbst den sabbernden Yak, den sie in jenen letzten Tagen der Expedition mit ihrem Vater in den Bergen geritten hatte. Aber ihre ständigen Reisen hatten es nicht erlaubt, ein Haustier zu halten. Haustiere verlangten Beständigkeit. Dauerhaftigkeit. Etwas, wonach sie sich – nach dem Tod ihrer Mutter und einer Reihe schäbiger Internate und endloser Reisen – immer gesehnt hatte.
Ein Schatten verdunkelte die Steine. »Lassen Sie sich dabei besser nicht von Lucinda erwischen.«
Die Katzen schossen in die Büsche, als sei der Leibhaftige hinter ihnen her. Mina drehte sich um und erhob sich, während ihre Cousine Astrid die Stufen herabkam.
»Nach Meinung meiner lieben Stiefmutter sind Katzen und Hunde nicht mehr als Nagetiere.«
Mina hob die leere Serviette auf und faltete sie zusammen.
»Sie sehen heute reizend aus, Astrid.«
Die junge Frau lächelte, ein Inbegriff der Mode und Anmut. Die aufgesteckte Frisur ihres blonden, gelockten Haars war ein Kunstwerk, und sie trug ein elegantes pflaumenfarbenes Tageskleid, das mit purpurfarbener Spitze besetzt war. Im Gegensatz zu Mina hatte die Familie nur noch zur Beerdigung Trauer getragen. Drei Monate waren verstrichen, und nach allen Regeln der Etikette konnte man nicht erwarten, dass sie weiter Trauer für einen Verwandten trugen, mit dem sie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr gesprochen hatten.
»Lucinda lässt fragen, ob Sie
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