So weit der Wind uns traegt
1. KAPITEL
D avis Priesen hielt sich nicht für einen Feigling. Trotzdem hätte er lieber eine Operation ohne Narkose über sich ergehen lassen, als Robert Cannon gegenüberzutreten und ihm diese Nachricht zu bringen. Nicht, dass der Hauptaktionär und Chef der Cannon Group ihn für den Inhalt der Botschaft verantwortlich machen würde. Aber seine hellgrünen Augen würden noch eisiger werden. Davis lief schon ein kalter Schauder den Rücken hinab, wenn er nur daran dachte. Cannon stand in dem Ruf, absolut fair zu sein, aber kein Erbarmen zu kennen, wenn ihn jemand reinlegen wollte. Davis kannte niemanden, der mehr Respekt genoss als sein Chef. Nur war das im Moment kein Trost.
Andere Männer in Cannons Position ließen sich von einer großen Schar von Assistenten abschirmen. Bei Cannon hütete nur eine Privatsekretärin den Eingang zum Allerheiligsten. Felice Koury war seit acht Jahren seine persönliche Assistentin und leitete das Büro mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks. Sie war eine große, schlanke Frau ohne Alter, mit stahlgrauem Haar und der glatten Haut einer Zwanzigjährigen. Sie behielt stets die Ruhe, war beängstigend tüchtig und zeigte nicht das geringste Anzeichen von Nervosität in Gegenwart ihres Chefs.
Davis hatte sich angemeldet. Deshalb griff Felice sofort zum Telefon und drückte auf einen Knopf. „Mr. Priesen ist jetzt da, Sir.“ Sie legte den Hörer wieder auf und fuhr fort:
„Mr. Cannon bittet Sie herein.“
Cannons Büro war groß und elegant. Es lag am persönlichen Geschmack seines Inhabers, dass es trotz der kostbaren Ölgemälde an den Wänden und des zweihundert Jahre alten Perserteppichs eher entspannend als einschüchternd wirkte. Sechs Bogenfenster boten einen unvergleichlichen Blick aufNew York City. Mit ihrem schönen Glas waren sie selber ein Kunst werk.
Der schwere Schreibtisch war ebenfalls eine Antiquität. Er bestand aus geschnitztem Ebenholz und stammte aus dem 18. Jahr hundert.
Cannon war groß und schlank und bewegte sich mit der Grazie und der Kraft eines Panthers. Auch sein glattes schwarzes Haar und seine hellgrünen Augen passten zu diesem Bild.
Er stand auf und schüttelte Davis mit seinen langen, wohlgeformten Fingern kräftig die Hand. Davis staunte jedes Mal über den stahlharten Griff seines Chefs.
Bei früheren Gelegenheiten hatte Cannon seinen Sicherheitsbeauftragten zu der Sitzecke geführt und ihm eine Tasse Kaffee angeboten. Heute betrachtete er Davis’ angespannte Miene und sagte: „Ich würde gern behaupten, dass ich mich über Ihren Besuch freue. Doch ich fürchte, Sie sind nicht hier, weil Sie eine gute Nachricht für mich haben.“
Davis wurde immer nervöser. „Nein, leider nicht, Sir.“
„Haben Sie einen Fehler gemacht?“
„Nein, Sir“, antwortete Davis und fügte aufrichtig hinzu:
„Obwohl ich es früher hätte merken müssen.“
„Dann entspannen Sie sich und setzen Sie sich“, sagte Robert freundlich und nahm wieder hinter seinem großen Schreibtisch Platz. „Worum handelt es sich?“
Davis setzte sich zögernd auf die Kante des weichen Lederstuhls. „Jemand in Huntsville verkauft unsere Software für die NASA“, stieß er hervor.
Cannon blieb äußerlich ruhig. Doch seine Augen nahmen jenen eisigen Blick an, den Davis so fürchtete. „Haben Sie einen Beweis für diese Behauptung?“
„Ja, Sir.“
„Wissen Sie, wer der Schuldige ist?“
„Ich glaube, schon, Sir.“
„Dann sagen Sie es mir.“ Nach dieser abrupten Aufforderung lehnte Cannon sich zurück und wartete aufmerksam.
Stockend berichtete Davis, weshalb er misstrauisch geworden war und von sich aus Nachforschungen angestellt hatte. Mehrmals wischte er sich den Schweiß von der Stirn, während er das Ergebnis seiner Ermittlungen schilderte.
PowerNet, ein Unternehmen der Cannon Group mit Sitz in Huntsville, Alabama, arbeitete an streng geheimer Software für die NASA. Diese Software war plötzlich bei der Tochtergesellschaft einer ausländischen Firma aufgetaucht. Das bedeutete nicht nur Industriespionage, was schlimm genug gewesen wäre, sondern war Hochverrat.
Davis’ Verdacht konzentrierte sich auf Landon Mercer, den Manager der Firma. Mercer war seit einem Jahr geschieden und führte ein auffällig luxuriöses Leben. Zwar verdiente er nicht schlecht, aber nicht so viel, um den Unterhalt für eine Familie zu zahlen und seinen gegenwärtigen Lebensstil beizubehalten.
Deshalb hatte Davis diskret ein Detektivbüro eingeschaltet. Dieses hatte
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