Exit Mosel
Montagabend
Sein Kopf pendelte hin und her, als hinge er nur noch an einem Faden. Mit großer Mühe befreite er sich aus dem Kokon der Ohnmacht. Seine Augen sahen nur Dunkelheit. Durch die Wattewelt drang ein auf- und abschwellendes Motorengeräusch. Etwas stieß hart gegen seine Stirn. Er wollte seine Hand zu der schmerzenden Stelle führen, aber sie nahm den Befehl nicht entgegen. Sein Kopf rollte zur anderen Seite.
Nun zeichneten sich über ihm schwach die Konturen eines Fensters ab. Draußen huschte etwas wie der Reisigbesen einer Hexe vorbei. Er versuchte seinen Blick zu fokussieren. Aber es blieb nur das Grauschwarz, das wieder verschwand, als sein Körper durchgerüttelt wurde und sein Gesicht sich wieder der dunklen Seite zuwandte.
Es musste ein Feldweg sein, über den der Wagen mit ihm holperte. Seine Augenlider senkten sich. Er zog sich wieder in den Kokon zurück.
Als er zu sich kam, wusste er nicht, ob Sekunden oder Stunden vergangen waren. Im Schein der Innenleuchte erkannte er die Rückwand von Autositzen und eine kleine schwarze Plastikbox. Es war ein Verbandskasten, der ihm vorhin gegen den Kopf gestoßen war. Der Motor verstummte, die Handbremse wurde gezogen. Er versuchte, den Kopf zur Scheibe zu wenden. Seine Augenlider fielen schwer wie die Falltore einer Burg herunter. War das tiefe Brummen nur in seinem Kopf oder kam es von draußen? Er trudelte in einen freien Fall. Statt wie gewohnt aus dem oft durchlebten Albtraum aufzuwachen, glitt er wieder zurück in die Ohnmacht.
Er hörte, wie eine Tür zugeschlagen wurde. Sein Kopf fühlte sich immer noch an, als wäre sein Gehirn in nasse Watte gepackt. Ein Schemen war draußen am Fenster. Das gleichmäßige Dröhnen wurde lauter. Wieder fielen seine Augen zu. Etwas platschte auf das Autodach. Durch die geschlossenen Augenlider nahm er einen Blitz wahr.
Er öffnete die Augen. Die Helligkeit hielt an. Es roch nach Rauch. Sofort folgte die Hitze. Hatte ein Blitz den Wagen getroffen? Flammen breiteten sich prasselnd aus. Über ihm knackte das Fenster und zeigte das milchige Muster einer Eisfläche im Winter, die unter einem Wagemutigen splittert. Die Scheibe zerbarst und aus der Feuerwand dahinter züngelten neugierige Flammen erst zaghaft herein, um sich dann umso gieriger über die Deckenverkleidung herzumachen.
Er hatte mit dem Geschehen um ihn herum nichts zu tun, spürte keine Angst. Als sein Atmen einen Hustenreiz auslöste, wollte er wieder in den Kokon zurück. Eine Feuerwolke sammelte sich unter dem Dach. Der Rauch schmeckte nach brennendem Kunststoff. Er versuchte sich wegzukrümmen. Wieder setzte der freie Fall ein. Er sah zu, wie sein Körper ins Bodenlose stürzte, bis er sich im Unendlichen verlor.
*
Der Frachter pflügte durch die schwarze Flussmitte. Im Radio lief das übliche Einheitsgedudel, unterbrochen von Verkehrsdurchsagen über Störungen auf Straßen in Holland, die ihn nicht im Geringsten betrafen.
Links von ihm leuchteten die Lichter des Trierer Hafens auf. Blau und weiß spiegelte sich das Licht der angestrahlten Kranausleger im Wasser. Dahinter stieg Rauch aus den Schloten des Stahlwerks in den grauschwarzen Himmel. Der Mann am Steuer drehte den Kopf, um zu schauen, ob er einen Kahn erkannte, der nebenan im Hafenbecken vor Anker lag. War das, was da hinten schlapp am Bug des Tankschiffs baumelte, eine holländische Flagge? Er konnte sie auf die Entfernung nicht erkennen und musste den Blick wieder geradeaus auf den dunklen Fluss und die dunkelgrünen Linien des Radarschirmes richten. Das Gerät war so fein eingestellt, dass es jedes Hindernis ab der Größe einer Ente zeigte. Es hatte etwas gedauert, bis er Vertrauen zu der Kiste gefasst hatte. Inzwischen fuhr er damit genau so gut und unbesorgt, als wäre er tagsüber unterwegs.
Nebenan teilte eine Insel den Fluss. Im Scheinwerferlicht richteten die Bäume ihre kahlen Äste auf wie Kopfhaare, die unter elektrischer Spannung abstanden. Darunter hielten vereinzelte Hecken noch ihr trockenes Blattwerk fest. Ursprünglich hatte er oberhalb der Staustufe Feyen anlegen wollen, sich dann aber noch munter genug gefühlt, bis Detzem weiterzufahren, wo er sich noch durchschleusen lassen würde. In der Nacht gab es keine langen Wartezeiten, und er konnte viel Zeit sparen. Über die taunassen Planken des Laderaums huschten die Reflektionen der Scheinwerfer von den hoch oben über die Moselbrücke fahrenden Wagen. Hier standen keine Pfeiler, die dem Frachter gefährlich werden
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