Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So will ich schweigen

So will ich schweigen

Titel: So will ich schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
Vom Netzwerk:
zu gelangen, musste sie noch einen weiteren Zauntritt überwinden, aber diesmal machte sie dabei keine so unglückliche Figur. Als sie dann auf dem höchsten Punkt der Brücke stand, konnte sie sehen, dass am Viehstall immer noch gearbeitet wurde. Nur von dem jähzornigen Sergeant, mit dem sie und Juliet am Morgen das Vergnügen gehabt hatten, war nichts zu sehen. Ohne diesen argusäugigen
Aufpasser, dachte sie sich, würde sie sicher einen Blick in das Gebäude selbst werfen können, aber zunächst wollte sie noch das erledigen, weswegen sie gekommen war.
    Sie trat an die Brüstung und blickte in die Richtung, aus der sie gekommen war, über den stillen, abgelegenen Abschnitt des Kanals hinweg, wo keine Bewegung zu sehen war bis auf ein leichtes Kräuseln im Schilf nahe dem Ufer. Dann drehte sie sich um, ging zur anderen Seite der Brücke und schaute nach Süden. In der Ferne konnte sie den schrägen Uferdamm des Huddleston-Reservoirs erkennen, ein nüchterner Anblick nach den von Bäumen gesäumten Mäandern, die sie im Norden gesehen hatte. Sie wusste auch, dass jenseits des Reservoirs die Schleuse von Huddleston lag und die Einmündung des Llangollen-Kanals. Wenn man dann noch weiterginge, käme man durch das Dorf Acton und schließlich nach Nantwich.
    Ganz in der Nähe der Brücke, im Windschatten des Viehstalls, waren gegenüber dem Leinpfad ein halbes Dutzend Kanalboote vertäut; wie eine bunte Schar von Entenküken lagen sie dort aufgereiht. Sie konnte auch den Pfad erkennen, der von der Zufahrtsstraße zum Viehstall am Feldrain entlang zu den Booten hinunterführte. Doch die Kabinentüren waren alle fest verschlossen oder mit Planen verhüllt, und aus den messinggefassten Schornsteinen stieg kein Rauch auf. Gemma bezweifelte, dass Babcocks Leute hier irgendwelche Zeugen angetroffen hatten.
    Warum hatte Annie sich einen so menschenleeren Abschnitt des Kanals ausgesucht, um ihr Boot festzumachen? Hatte es irgendetwas mit der Nähe zu dem Viehstall zu tun?
    Nun, man konnte die Sache auch von der anderen Seite angehen, dachte Gemma. Falls Annie jedes Mal, wenn sie in die Gegend von Barbridge kam, an dieser Stelle festmachte, hatte sie dann vielleicht am Viehstall irgendetwas beobachtet? Und
wenn das der Fall war, könnte die Entdeckung der Kinderleiche die Aufmerksamkeit des Mörders auf sie gelenkt haben?
    Aber möglicherweise war das Kind ja schon lange, bevor Annie Lebow das Boot gekauft hatte, im Viehstall eingemauert worden. Gemma schüttelte frustriert den Kopf. Sie stellte hier Hypothesen auf, dabei hatte sie überhaupt keine gesicherten Fakten, auf denen sie aufbauen konnte. Und das war immer gefährlich.
    Ein Ergebnis hatte ihr die Exkursion immerhin eingebracht, abgesehen von verdreckten Stiefeln und halb erfrorenen Fingern. Sie wusste jetzt definitiv, was sie nach einem Blick auf die Karte nur vermutet hatte – dass Annie Lebows Mörder entweder aus Barbridge gekommen war oder über die Straße, die zum Viehstall führte. Gewiss, es war nicht ausgeschlossen, dass er zu Fuß den ganzen Leinpfad von Nantwich im Süden oder von irgendwo jenseits von Barbridge im Norden gekommen war. Angesichts des dichten Nebels, der am Abend zuvor geherrscht hatte, hielt sie das jedoch für sehr unwahrscheinlich – ebenso unwahrscheinlich wie die Vorstellung, dass der Mörder oder die Mörderin sich querfeldein über Zäune und durch Hecken bis zum Leinpfad durchgeschlagen hatte.
    Weiter kam sie mit ihren Spekulationen nicht – doch sie musste feststellen, dass sie nicht bereit war, es damit bewenden zu lassen. Sobald sie wieder im Auto war, würde sie sich auf die Suche nach Kincaid und Ronnie Babcock machen und sie fragen, was sie herausgefunden hatten. Es wurde Zeit, dass sie das tat, was sie am besten konnte – die Puzzleteile zusammensetzen.
    Doch als sie schon auf dem Weg zum Leinpfad war, hielt sie plötzlich inne. Sie drehte sich um und warf noch einen Blick auf den aus roten Ziegeln gemauerten Viehstall. Von Sergeant Rasansky war immer noch nichts zu sehen, und es schien, als wolle der Rückbautrupp bald Feierabend machen. Es war niemand
in der Nähe, der sie gut genug kannte, um ihre Neugier morbid zu nennen – was sprach also dagegen, dass sie sich die letzte Ruhestätte des geheimnisvollen Kindes mit eigenen Augen ansah?
     
    Das war eine Sache, die er an Frauen so hasste – dass sie immer wieder das eine sagten und doch das andere meinten. Oder diesen speziellen Blick, mit dem sie einen durchbohrten,

Weitere Kostenlose Bücher