Socken mit Honig
hängen. Ich erkläre dir auch genau, was du machen
musst. Das ist nicht schwer, ich bin sicher, du kannst das.“ Was macht die
Mama? Sie versucht zu retten, was zu retten ist. Pädagogisch sinnvoll ist das
nicht, schimpfe ich mit mir. Meine Tochter erklärt haarklein, wie das Bild
werden soll, welche Farben verwendet werden müssen, welches Motiv in etwa
gefragt ist. Mir ist klar, dass die Aufgabe nicht in zwei Stunden zu bewältigen
ist und verspreche, ihr beim Malen zu helfen, denn außer der Aufgabe für Kunst
muss sie unbedingt Physik lernen, da wird noch ein Test geschrieben. Gut, dass
ich von Physik nicht viel verstehe, sonst würde sie womöglich von mir
verlangen, den Test an ihrer statt zu schreiben.
Eine Stunde später am selben Sonntagabend hält mir Leo vier
lose Seiten Papier entgegen. „Dienstag ist der letzte Termin, die
Praktikumsmappe abzugeben. Der Bericht soll zwischen sechs und acht Seiten lang
sein. Ich habe schon alles geschrieben, was es zu schreiben gibt, wie du
siehst, komme ich nur auf vier Seiten. Kannst du das für mich etwas
verlängern?“ „Ich glaube, ich bin im falschen Film“, entfährt es mir. Habe ich
ein Schild auf der Stirn, auf dem steht, dass ich immer gerne zu jeder Zeit die
Hausaufgaben für meine Kinder erledigen möchte? Ich kann mich gut daran
erinnern, wie überglücklich ich war, als meine Schulzeit vorbei war. Glücklich,
weil ich nie mehr Hausaufgaben würde machen müssen. Da habe ich mich wohl zu
früh gefreut. Ich sollte jetzt sofort klar und deutlich sagen, dass ich keine
Lust habe, ein Bild im Hundertwasser-Stil in Dunkelbunt zu malen. Dass ich
keine Lust habe, einen Praktikumsbericht zu überarbeiten und auszuschmücken.
Auch mein Sohn umschmeichelt mich mit flehendem Blick: „Schreiben ist doch dein
Metier. Bitte, Mama!“ Schreiben liegt mir, mehr als Kunst, das stimmt. Aber Leo
hat das Schulpraktikum gemacht, nicht ich. Wie soll ich einen Bericht schreiben
über etwas, das ich nicht gemacht habe? „Lies dir einfach durch, was ich
geschrieben habe, dann passt du das an die Aufgabenstellung genau an und
schreibst im Notfall noch ein paar erfundene Details dazu. Mama, du kannst
das.“ Seltsamerweise schreibt er ebenfalls noch einen Physiktest, für den er
lernen muss. Ich habe den Eindruck, in der Wiederholungsschleife zu stecken.
Selbstredend sage ich Leo ebenfalls meine Hilfe zu. Gleiches Recht für alle.
Am Montag, die Kinder sind in der Schule, beginne ich mit
Julias Bild. Die Wasserfarben müssen zwischendurch immer wieder trockenen,
damit die Ränder nicht ineinander verlaufen. Außerdem muss ich die Farbe
zweimal auftragen, damit sie schön deckt. Es ist vor allem Geduld und nicht so
sehr Kunstfertigkeit gefragt. In den Trocknungspausen schreibe ich Leos
Praktikumsbericht neu. Ich recherchiere im Internet über die Firma, in der er
war, und finde zusätzliche Informationen, die er in seine vier Seiten noch
nicht eingebracht hat. Jetzt sind es bereits sechs Seiten. Ich lese nochmal das
Anforderungsprofil und stelle fest, dass Leos eigene Meinung über den
generellen Sinn des Praktikums und über das subjektive Wohlbefinden im
ausgesuchten Betrieb fehlt. Nein, sie fehlt nicht völlig, sie ist genau
zweieinhalb Zeilen lang: „Ich halte Praktika für sinnvoll. In der von mir
ausgesuchten Firma waren die Leute nett, ich habe mich wohlgefühlt und habe
viel gelernt.“ Typisch mein Sohn, der schon in der Grundschule auf die Frage:
“Wie hat dir die Geschichte gefallen?“ die Antwort „gut“ geschrieben hat. Nur
kein Wort zu viel verschwenden! Es fällt mir leicht, aus diesen drei Sätzen
zwei weitere Seiten zu machen.
Als Julia und Leo aus der Schule nach Hause kommen, sind ‚meine‘
Hausaufgaben fertig. Ich finde beide Arbeiten gelungen und bin ein wenig stolz
auf mich, obwohl ich auch ein schlechtes Gewissen habe, denn mir ist klar, dass
ich die Kinder zu mehr Eigenverantwortlichkeit hätte erziehen sollen. Ich hätte
ihnen besser beibringen müssen, sich zu organisieren. Kurz bevor ich an dem
Punkt angekommen bin, die Erziehungsversuche meiner Kinder komplett
anzuzweifeln, fasse ich spontan den Vorsatz, ab sofort mehr Wert auf
Eigenverantwortlichkeit und Selbstorganisation zu legen, aber das Bild oder der
Praktikumsbericht haben davon nichts mehr.
Julia rügt spontan das Bild, es sei viel zu gut geworden.
Leo liest den Bericht durch: „Genau so wollte ich das auch schreiben, Mama. Du
hast mir die Worte quasi aus dem Mund genommen.“ Sie
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