Socken mit Honig
zwar eine
Frau und multitaskingfähig, aber aufmerksam zuhören und gleichzeitig lesen und
Papiere sortieren, das geht nun wirklich nicht. Als der Radiobericht zu Ende
ist, muss ich noch schnell eine Hintergrundinformation googlen. Wenn ich schon
mal am Computer sitze, kann ich auch gleich einen Brief an meine Tante, die
nächste Woche Geburtstag hat, schreiben. Ich mag meine Tante und nehme mir
Zeit, ausführlich zu schreiben. Dann ausdrucken, nochmal lesen – ein schöner
Brief, ich bin stolz auf mich! Ab in einen Umschlag, Briefmarke drauf und
schnell zur Post. Es ist angenehmes Wetter, ich gehe zu Fuß, Bewegung tut mir
gut. Mit dem Auto ginge es schneller, sicher, aber ich habe es nicht eilig.
Außer, da war doch noch was?
An dieser Stelle unterbricht mich meine Tochter um mir zu
sagen, dass vorhin ein Mann angerufen hätte, der schon seit geraumer Zeit auf
Erledigung seines Schreibens wartet. Aber ich ‚weiß den Namen nicht mehr‘.
Wieder zuckt mein schlechtes Gewissen. Meine Tochter hat inzwischen begriffen,
dass sie durch meine Erzählung nicht das erfahren kann, was sie wissen möchte.
Natürlich war mir von Anfang an klar, dass das Trägheitsmoment etwas mit Physik
zu tun hat. Aber für Physik bin ich nicht zuständig. Ich bin für Sprache
zuständig. Das hat auch meine Tochter klar erkannt, denn abschließend stellt
sie die Frage, warum es ‚das‘ Trägheitsmoment heißt wohingegen man doch ‚der‘
Moment sagt. Ich bin versucht ihr zu erklären, dass ein Moment ganz schnell
vorbei geht, die Momente, die mit der Trägheit verbunden sind, jedoch deutlich
länger dauern ...
Zeltsalat mit Tapete
Julia quengelt. Sie ist zwölf Jahre alt und kann die, wie
sie sie nennt, ‚Babytapete‘ in ihrem Zimmer nicht mehr leiden. „Mein Zimmer
braucht ein Update“, fordert sie und meint, dass Papa ihr Zimmer renovieren
soll. Meine Zustimmung hat sie. Die Tapete in ihrem Zimmer ist rosa, eine
Farbe, die mir niemals zusagte. Julia hatte sie sich vor – ja vor wie vielen
Jahren war das denn schon? – ausgesucht. Ich erinnere mich an ‚irgendwann im Kindergartenalter‘.
Alle kleinen Mädchen lieben rosa, so will es die Werbung. Versuchen sie einmal,
einen Puppenwagen oder ein Barbiehaus zu kaufen, dann wissen Sie, was ich
meine. Meine kleine Tochter, die natürlich nicht so viel Fernsehen hätte gucken
sollen, damit sie von der Werbung unbeeinflusst hätte bleiben können, ist von
dem allgemeinen Rosatrend nicht verschont geblieben. Ebenso wenig wie ihr
Zimmer. Ich habe ihrem damaligen Quengeln nachgegeben, den Wunsch nach einem
rosa Prinzessinnenzimmer erfüllt, erfüllen lassen, denn mein Mann hat
tapeziert, ich habe lediglich beim Aussuchen geholfen. Nun, nach sieben oder
acht Jahren haben die Märchen von Prinzen und Prinzessinnen ihren Reiz verloren,
die Tapete hat ihren Dienst getan. Märchenbücher wie Tapete haben angefressene
Ecken, sind bereits leicht vergilbt. Der Unterschied zwischen beiden besteht
darin, dass man erstere problemlos aus dem Regal nehmen kann, um sie zu
verschenken oder, falls mehr als nur die Ecken gelitten haben sollten, in den
Kamin zu stecken. Tapeten hingegen sind nicht mit einem Handgriff verschwunden.
Das weiß auch Julia, die beginnt, ihren Vater zu umgarnen. „Bitte, Papa! Lass
uns gleich zum Baumarkt fahren!“ Die Begeisterung meines Mannes ist gedämpft.
„Ich habe dieses Wochenende keine Lust zum Renovieren. Endlich ist das Wetter
schön. Wir sollten lieber raus, etwas an der frischen Luft machen“, wendet er
ein. „Prima, ich bin dabei!“, ruft Leo, unser Sohn, der womöglich befürchtet
hat, seinem Vater in Julias Zimmer helfen zu müssen. „Ich wollte schon so lange
einen Wochenendausflug machen. Zum See. Mit dem Fahrrad. Wir könnten im Zelt
übernachten. Bitte Papa, das wäre toll!“ Julia protestiert: „Das ist gemein!
Ich habe zuerst gefragt. Mein Zimmer ist echt wichtig. Mein Wellness-Feeling
ist gestört, wenn ich ständig von dieser uncoolen Farbe umgeben bin.“ Mein
Mann, der liebend gerne, ich sehe es ihm an, auf Leos Vorschlag eingegangen
wäre, will keines seiner Kinder enttäuschen. Ratlos zuckt er mit den Schultern.
„Gabi, was meinst du denn dazu?“ Alle schauen mich an. Ich soll es richten. Ich
muss die Entscheidung fällen, mit der alle zufrieden sein können. „Was erwartet
ihr von mir? Gleichgültig was ich sage, einer kommt zu kurz. Ich finde zwar
auch das Wetter ganz toll und freue mich über den Sonnenschein, sehe aber ein,
dass
Weitere Kostenlose Bücher