Söhne der Erde 01 - Unter dem Mondstein
daß die Erbschaft seines Vaters schwer lasten würde. Und er wußte, daß es Kampf geben würde, daß der letzte Wunsch des sterbenden Fürsten vielleicht das Schicksal der Tiefland-Stämme besiegelte...
Als er aufstand, umschloß seine Rechte immer noch den Schwertgriff.
Die Reflexe der Flammenwand huschten über seinen nackten Oberkörper. Die knielangen Hosen aus braunem, geschmeidigem Leder und die geschnürten Sandalen waren die einzigen Kleidungsstücke, die er trug. Es gab zu wenig Metalle im Boden der kargen Ebene, kaum genug für Waffen und Werkzeug. Charru dachte an die schimmernden Rüstungen der Priesterkrieger und straffte die Schultern.
Mit ruhigen Schritten stieg er über die Stufen des Plateaus, das sich im roten Widerschein der Flammen dehnte. Dämmerung lag über dem Land, die große Mauer schien mit den schroffen Felswänden zu verschmelzen. In der goldenen Stadt hinter der Mauer brannten Lichter, und Lichter glommen auch in der Dunkelheit jenseits des Waldgürtels, der die einfachen Holzhäuser von Mornag und die steinerne Königshalle schützte.
Gestalten traten aus dem Dunkel.
Sie hatten im Schatten der Drei Finger gewartet, schroffer, steil aufragender Felsennadeln. Charru erkannte das bronzene, fast noch kindliche Gesicht seines Bruders Jarlon, das hellere Camelo von Landres, das zerfurchte Gerinths, des Ältesten seines Volkes. Die Gesichter waren starr. Sie hatten gewartet, dem Sterbegesang gelauscht, und nun wußten sie, daß Fürst Erlend nicht mehr lebte.
Schweigend drückte Camelo die Hand seines Blutsbruders.
Sie waren gleichaltrig, und ihre Freundschaft reichte bis in die Kindheit zurück. Freundschaft, später Blutsbrüderschaft, obwohl sie von Anfang an verschieden gewesen waren. Charru, der durch eine lange und harte Schule gehen mußte, um eines Tages stark genug zu sein, die Bürde der Macht zu tragen. Camelo von Landre, der Panflöten schnitzte, die Grasharfe neben der Waffe am Gürtel trug und fast immer lachte. Sein Gesicht war heller und ebenmäßiger als das Charrus, die schwarzen Haare fielen weich auf die Schultern, die blauen Augen waren dunkler, ohne den durchdringenden Saphirglanz. Er liebte das Schwert nicht besonders - aber er verstand es besser zu führen als die meisten anderen.
Jarlon hatte erst zur letzten Regenzeit die Kriegerweihe empfangen, die ihn vom Jüngling zum Mann machte.
Er kämpfte mit den Tränen. Gerinths Hand lag auf seiner Schulter. Der alte Mann trug als einziger kein Schwert. Er war Fürst Erlends Berater gewesen, und er würde der Berater des neuen Herrschers sein. Und doch wußte Charru, daß er schon heute Nacht Gerinths Rat nicht folgen würde.
Nicht folgen durfte!
Der Schwur band ihn, den er seinem Vater geleistet hatte. Aber er band nur ihn allein. Er brauchte die Rache der Priester nicht auf sein ganzes Volk zu ziehen. Charru furchte die Stirn. Die Verantwortung, der er sich bewußt wurde, schien mit dem Schmerz in seiner Brust zu verschmelzen und preßte ihm wie eine Klammer das Herz zusammen.
Er warf das Haar zurück.
»Gerinth«, sagte er leise. »Gerinth, ich habe meinem Vater versprochen, den Scheiterhaufen für ihn zu errichten und seinen Körper den Flammen zu übergeben.«
Stille.
Camelos Gesicht versteinerte, Jarlon blickte erschrocken von einem zum anderen. Aus dem Schatten der Felsennadeln trat ein weiterer Mann, ein blonder, bärtiger Hüne. Karstein war es, Führer der Sippen, die sich schon immer Nordmänner genannt hatten, obwohl niemand wußte, woher diese Bezeichnung rührte.
Ruhig und bedächtig kam er näher. Seine Augen hatten ein helles Grau, das an die Nebel über dem schwarzen Fluß erinnerte, das gleiche Grau wie in Gerinths Augen.
»Ich helfe dir, Charru«, sagte er schlicht. »Kein Nordmann wird je in die andere Welt gehen, ohne die Flamme der Seele zu befreien. -Es sei denn, du befiehlst es«, setzte er mit einem knappen Lächeln hinzu.
Charru nickte.
Ja, wenn er es befahl, würden selbst Karsteins Nordmänner von den geheiligten Bräuchen lassen. In einer feindlichen Welt wog nichts so schwer wie der Treueeid. Er wurde aus freien Stücken geleistet und gehalten, denn die Tieflandstämme waren eine Gemeinschaft von Freien. Wer den Eid brach, hatte keinerlei Strafe zu erwarten, weder Tod noch Folter oder Sklaverei, wie sie von den Gerichten der Priester verhängt wurden. Er verlor nur seine Ehre -und mancher, dem das geschehen war, hatte den Tod in den reinigenden Flammen an den Grenzen der Welt
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