Söhne der Erde 01 - Unter dem Mondstein
haben. Wir wollen keine Sklaven mehr sein - das ist alles, was wir verlangen.«
Simon Jessardin nickte.
»Einverstanden«, sagte er ausdruckslos. »Und was geschieht mit eurem Gefangenen?«
»Er wird uns aus der Stadt führen.«
»Und dann laßt ihr ihn frei?«
»Wenn du uns dein Wort gibst, daß ihr uns ziehen laßt und niemand uns angreift - ja.«
»Ihr habt mein Wort. Ihr könnt dieses Haus und die Stadt ungehindert verlassen.« Er wandte den Kopf und sah den Venusier an. »Führen Sie sie bis zur Urania-Brücke, Conal.«
Nord nickte langsam.
Er fragte sich, ob es die Rücksicht auf sein Leben oder die alte Freundschaft war, die diese Entscheidung bewirkt hatte. Nein, gab er sich selbst die Antwort. Gefühle waren eine Schwäche, die sich der Präsident der Vereinigten Planeten nicht gestatten durfte. Er hatte einen anderen Weg gefunden, das Problem zu lösen.
»Gut«, sagte Conal Nord nur.
Simon Jessardin nickte ihm noch einmal zu, dann wandte er sich ab und verschwand genauso schnell und zielstrebig, wie er gekommen war. Charru ging voran.
Endlose Flure, deren Wände aufleuchteten, wenn man sie betrat. Eine Tür, die lautlos auseinanderglitt, wie vor Geisterhand bewegt - und wieder das Bild dieser weißen, schimmernden, unendlich fremdartigen Stadt, die sich vor ihnen ausbreitete.
Die Sterne waren verblaßt, der Himmel hatte ein helles, perlmuttglänzendes Grau angenommen.
Charru blieb stehen, ließ den anderen Zeit, das Bild in sich aufzunehmen. Kein Wort fiel. Auch Conal Nord verharrte reglos. Wie eine Berührung spürte er das tiefe Staunen der Menschen, und als er den Kopf wandte, sah er in Gesichter, die nicht mehr von Trauer und Furcht gezeichnet waren, sondern von einer jähen, schmerzenden Hoffnung.
Jenseits der Stadt erstreckte sich eine weite rote Ebene, durch die sich Streifen von Grün zogen.
Felsenwüste, aber auch Wasser und Gras. Schroffe Tafelberge, in deren Spalten und Schründen tiefblaue Schatten lockten. In der Ferne zeichneten sich weitere Bergketten ab, sanft geschwungene Hügel - und über ihren Kämmen begann jetzt der Himmel in einem seltsamen, brennenden Rot zu glühen.
Wie der Widerschein einer Feuersbrunst...
Aber in dieser Welt gab es keine unüberwindlichen Flammenwände, die die Menschen einschlossen. Diese Welt war ein Stern, einer von vielen tausend Sternen und von nichts anderem als der unendlichen Weite des Raums umgeben.
Die Ebene entflammte.
Über die fernen Bergrücken erhob sich ein blutroter Splitter, setzte den Himmel in Brand und tauchte die Häuser der Stadt in perlmuttenes Rosa. Immer höher stieg die flammende Erscheinung, bis sie zu einer runden Scheibe wurde, ihre Farbe in leuchtendes Gelb und Weiß verwandelte. Eine Flut strahlender Helligkeit ergoß sich über die Ebene, über die Stadt, die schweigenden, in Bann geschlagenen Menschen, und wie ein glühender Ball hing die Quelle dieses unbeschreiblichen Lichts am Himmel jenseits der Berge.
»Was ist das?« flüsterte Charru geblendet.
Conal Nord warf ihm einen Blick zu.
Noch nie hatten diese Menschen die Sonne gesehen, noch nie die Sterne. Sie hatten die blaue Kuppel ihres Kerkers zerbrochen und den Himmel entdeckt, sie standen staunend vor dem Wunder der Welt - und doch würde in dieser Welt nur der Tod auf sie warten.
Der Venusier spürte ein flüchtiges Gefühl der Bitterkeit, das ihm die Kehle zuschnürte.
»Die Sonne«, sagte er ruhig.
»Sonne?«
»Das Gestirn, um das sich Mars und Erde und alle anderen Planeten drehen. Eine von unendlich vielen Sonnen im Weltraum.«
Charru von Mornag atmete tief.
Er sah in das gleißende Licht. Es blendete ihn, schmerzte in seinen Augen, aber er vermochte den Blick nicht davon abzuwenden.
Millionen Sonnen...
Unendlicher Raum...
Irgendwo in der Weite dieser fremden Welt würden sie einen Ort des Friedens und der Freiheit finden.
ENDE
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