Söhne der Erde 01 - Unter dem Mondstein
Nun, in dieser Welt war niemand völlig frei von menschlichen Schwächen. Es ging nur darum, die Gefahren zu erkennen und mit dem Mittel der Vernunft zu beherrschen.
Conal Nord starrte immer noch in die nächtliche Miniaturwelt unter dem Mondstein.
»Und was wird jetzt geschehen?« wollte er wissen.
»Fragen wir den wissenschaftlichen Leiter! - Nummer Sechzehn, würden Sie den Professor benachrichtigen?«
Einer der Universitätsdiener verneigte sich schweigend. Hinter der Tür, durch die er sich zurückzog, flammten die Leuchtwände auf. Nur wenige Minuten später glitt die Tür von neuem auseinander, und der wissenschaftliche Leiter des »Projekts Mondstein« betrat den Museumssaal.
Er trug ein Trikot in der mattroten Farbe der Universität und einen breiten silbernen Gürtel, der seinen Rang auswies. Unter dem glatten lackschwarzen Haar wirkte sein Gesicht überraschend jung: er mußte sich vor kurzem einer Zellerneuerung unterzogen haben.
»Professor Raik«, stellte der Präsident vor. »Professor, unser Gast hätte gern erfahren, was weiter geschehen wird.«
Der Wissenschaftler richtete sich aus der tiefen Verbeugung auf. Er warf einen kurzen Blick auf die glänzende Kuppel. »Bisher ist alles programmgemäß verlaufen?«
»Richtig. Die Reaktion dieser Barbaren läßt sich verblüffend genau vorausberechnen.«
»So ist es, mein Präsident«, bestätigte der Professor. »Allerdings brauchen die Priester erfahrungsgemäß lange, um sich zum Handeln zu entschließen. Vielleicht wäre es im Interesse des Generalgouverneurs wünschenswert, den Lauf der Dinge ein wenig zu beschleunigen.«
»Und wie wollen Sie das bewerkstelligen, Professor?«
»Oh.« Der Wissenschaftler lächelte. »Lassen wir einen zürnenden Gott erscheinen, und unser Freund Bar Nergal wird sich beeilen, den Beleidigten zu versöhnen. Hatten Sie die akustische Überwachung eingeschaltet?«
»Nicht im Bereich der Tempelstadt. Was genau wird der Oberpriester tun?«
»Ich muß gestehen, daß ich es so exakt nicht vorhersagen kann. Lassen wir uns überraschen, mein Präsident.«
»Einverstanden«, sagte Simon Jessardin. »Das heißt, wenn es unseren Gast nicht zu sehr ermüdet.«
Der Venusier schüttelte mechanisch den Kopf.
Er hatte nicht zugehört. Er starrte in die dunkle, glänzende Kuppel und versuchte vergeblich zu ergründen, warum er sich immer noch so lebhaft jenes längst vergessenes Projekts Merkur erinnerte und der fanatischen, unvernünftigen Siedler, die seit zwanzig Jahren in den Bergwerken des Mondes begraben waren...
Unter dem Mondstein erhellte der Widerschein der ewigen Flammenwände die Nacht.
In der steinernen Königshalle der Stadt Mornag flackerte ein Feuer in dem gemauerten Kamin an der Stirnwand. Charru hatte den Platz seines Vaters eingenommen. Zu seiner Rechten saß Arliss, das schöne, sanfte Gesicht von Trauer überschattet, zu seiner Linken Gerinth, über dessen zerfurchte Züge rötliche Reflexe huschten. Der Rat war versammelt. Das entsprach nicht dem Brauch, aber diesmal würde es nötig sein, auch in den Tagen der Trauer Entscheidungen zu treffen. Charru lauschte dem Dröhnen der großen Trommel aus dem Tempeltal, das selbst durch die steinernen Mauern der Halle drang und immer wieder vom hohen, seltsam klagenden Ton des rituellen Horns unterbrochen wurde.
»Bar Nergal ruft seine Götter«, sagte Camelo von Landre düster.
»Und bald wird das Priesterheer über uns kommen.« Karsteins Stimme klirrte. »Einmal, bevor ich sterbe, möchte ich einen Blick auf diese Götter werfen!«
»Dann komm mit und laß uns in die Felsen steigen«, sagte Charru ruhig.
Für Sekunden blieb es still. Jarlon und Camelo richteten sich kerzengerade auf. Arliss' Augen flackerten.
»Nein«, flüsterte sie entsetzt. »Charru, du darfst nicht...«
»Aber wir würden wissen, ob es wirkliche Götter sind. Camelo glaubt, daß die Priester das Volk betrügen. Karstein glaubt es auch. Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Aber ich will es wissen.«
»Und warum?« flüsterte Arliss erstickt.
»Weil es wichtig für uns ist. Wenn die Menschen des Tempeltals betrogen werden, könnten wir ihnen die Augen öffnen. Wir könnten vielleicht die Macht der Priester brechen. Oder ihnen drohen, die Wahrheit zu enthüllen, wenn sie den Tiefland-Stämmen nicht ihren eigenen Glauben lassen.«
Wieder sank die Stille herab.
Charru spürte Gerinths forschenden Blick. Der alte Mann lächelte, ein wenig bitter.
»Große Worte, Charru. Willst
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