Söhne der Erde 05 - Flucht in die Sonnenstadt
stockten, als er die Bewegung hinter sich hörte.
Gerinth trat neben ihn, der Älteste der Tiefland-Stämme. Sein weißes Haar glitzerte in der Sonne, die nebelgrauen Augen wanderten über die Ebene bis zu der düsteren, waffenstarrenden Formation der Mars-Armee. Mit einer ruhigen Bewegung legte er die Hand auf Charrus nackte Schulter. Gerinth war schon der Berater Erlends gewesen, des letzten Tiefland-Fürsten, und wußte besser als alle anderen, was in dem jungen Mann vorging, der nach dem Tod seines Vaters die Verantwortung für das Geschick eines ganzen Volks hatte auf sich nehmen müssen.
»Eine Stunde«, sagte Charru tonlos. »Und dann?«
»Vielleicht können wir sie weiter hinhalten. Eine Möglichkeit zur Flucht finden.«
»Wohin? Und wie? Dazu müßten wir zuerst eine Möglichkeit haben, die Armee dort festzuhalten, damit sie uns nicht verfolgt.«
Gerinth nickte.
»Vielleicht gibt es ein Mittel«, sagte er nachdenklich. »Wir kennen es nicht. Aber ich glaube, wenn es keines gäbe; hätten uns die Marsianer längst überrannt und...«
Er schwieg abrupt.
Hinter ihnen in der Senke gellte jäh ein Schrei auf. Erregte Stimmen riefen durcheinander, jemand brüllte Befehle. Charru fuhr erschrocken herum und versuchte, etwas zu erkennen, während er schon über die heißen Felsen abwärts turnte.
Gerinth blieb hinter ihm.
Im Schatten des alten Schiffs hatte sich eine Menschentraube gebildet. Zwei Männer hielten einen dritten fest: Nordmänner alle drei, blonde, bärtige Hünen. Ein paar Schritte entfernt duckte sich eine hagere Gestalt in der zerfetzten Kutte der Tempeltal-Priester. Jemand versuchte, auch ihn zu packen, und wich erschrocken zurück, da in der Hand des Hageren plötzlich ein Dolch blitzte.
Hakon und Zai-Caroc!
Ein Nordmann und ein Priester, gepeitscht von dem alten Haß, den die marsianischen Wissenschaftler jahrhundertelang zwischen den Tiefland-Kriegern und den Tempeltal-Bewohnern geschürt hatten. Jemand warf sich mit einem Wutschrei dazwischen, als Zai-Caroc den Dolch schleudern wollte, umklammerte die Hand mit der Waffe und drängte den Priester keuchend gegen einen Felsen.
»Aufhören!« schnitt Charrus Stimme durch den Lärm.
Mit zwei, drei letzten Schritten erreichte er die Gruppe. An der Schulter riß er den rothaarigen Gillon von Tareth zurück, der Anstalten machte, den Priester mit seinem eigenen Messer zu traktieren. Zai-Caroc sackte zusammen. Gleichzeitig gelang es Hakon, sich loszureißen, doch er blieb stehen, als er Charrus Blick begegnete.
»Seid ihr wahnsinnig?« fragte der Fürst von Mornag kalt. »Haben wir nicht genug mit der marsianischen Armee zu tun, daß ihr euch auch noch gegenseitig an die Kehle fahren müßt!«
»Es war der Priester, der verrückt spielte«, sagte Camelo von Landre. »Wegen einer Bemerkung über seine schwarzen Götter; an die er offenbar immer noch glaubt.«
Charru fuhr herum. »Habe ich dich gefragt? Du sollst nicht hier draußen sein, sondern deine Verletzung ausheilen, sonst brichst du irgendwann zusammen, wenn wir dich brauchen. Geht das nicht in deinen Schädel?«
Seine Stimme klang scharf und gereizt. Er brauchte ein Ventil für den Zorn, der seine Wurzeln in dem lähmenden Gefühl der Hilflosigkeit hatte. Camelo lächelte nur.
»Aye. Aber Indred hat mir Bewegung verordnet.«
Charru stutzte, dann lachte auch er. Einen Augenblick löste sich die Spannung - einen kurzen Augenblick, denn der Schatten der allgegenwärtigen, tödlichen Drohung ließ sich nicht vergessen.
Als Charru herumschwang, hatte sich sein Gesicht wieder verhärtet.
»Den Dolch!« forderte er knapp.
Zai-Caroc starrte ihn an, dumpfen Haß in den Augen.
Die Priester waren entwaffnet worden, weil sie - aufgehetzt von den beiden marsianischen Gefangenen - die Tiefland-Krieger angegriffen hatten. Aber man hatte sie nicht durchsucht und auch sonst nichts gegen sie unternommen. Die Kluft war auch so tief genug. Und Charru wußte, daß sie den Haß eines Tages überwinden mußten, wenn sie eine Zukunft haben wollten.
Wenn...
Im Augenblick sah es so aus, als sei ihre Zukunft bereits zuende.
»Den Dolch!« wiederholte Charru.
»Gib ihn heraus«, sagte die leise Stimme Mircea Shars, der in der Welt unter dem Mondstein Tempelhüter gewesen war.
Zai-Carocs gelbliches Gesicht zuckte.
Sein Blick irrte umher, suchte die hohe, düstere Gestalt dies Oberpriesters, von dem allein er Befehle entgegenzunehmen bereit war. Aber Bar Nergal kauerte apathisch im Staub und
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