Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
wir oft gemeinsam. In Zukunft wird es natürlich nicht mehr vorkommen«, raunte Cassian Florine zu.
»Weshalb nicht? Sie gehören zu dir und damit auch zu mir. Wir sind doch so etwas wie eine Familie. Wir alle, meine ich.« Sie hob ihr Glas und ihre Stimme, so dass alle am Tisch sie hören konnten. »Noch nie hatte ich eine richtige Familie, und es erfüllt mich mit Freude, die Truppe des Theaters Gargantua, das Rudel meines Gefährten, so nennen zu dürfen. Santé!«
Alle nahmen ihre Gläser auf und donnerten aus einer Kehle. »Santé!«
Bertrand fühlte sich bemüßigt, von seinem Stuhl aufzuspringen und öffnete den Mund, um einen Trinkspruch auszusprechen, angespornt von zu viel Wein. Etwas schwappte von seinem Glas über den Rand, und Cassian wollte seinen Leibdiener eben bremsen, damit er nichts Falsches sagte, als er etwas verspürte, das seine Nackenhaare aufstellte. Bertrand klappte den Mund zu, als Cassian aufschnellte und aus dem Raum stürmte.
Im Laufschritt preschte er auf die Haustür zu, die Serviette noch in der Hand, und riss sie weit auf. Ein Windstoß trieb ihm Schnee in die Augen und blähte sein Hemd. Eiseskälte empfing ihn, und sie nahm zu, da er seine Ahnung bestätigt sah. Etwa fünf Schritte von ihm entfernt stand eine hoch gewachsene Gestalt. Ein Eiszapfen in Menschengestalt, dessen Haar in der Winternacht silbrig aufleuchtete. Schneeflocken und ein langer Militärmantel umwehten ihn. Reglos stand Mica ihm gegenüber, mit Augen, die in der Dunkelheit übernatürlich funkelten. Weder eine Kutsche noch ein Reittier waren zu sehen. Der Vampir musste den ganzen Weg von Paris aus zu Fuß gekommen sein, dicht auf Florines Fährte. Wortlos maßen sie sich.
»Was will ein Vampir vor dem Haus eines Werwolfs?«, rief Cassian ihm zu. Der zunehmende Schneesturm riss ihm die Worte vom Mund. Mica gab keine Antwort. Sein Blick richtete sich auf das Haus.
»Es ist entschieden, Mica. Deine Tochter ist meine Gefährtin. Solltest du mich deswegen herausfordern wollen, stehe ich zur Verfügung.«
»Er ist hier, weil er sich Sorgen macht. Mica will nicht kämpfen!«, stieß Florine hinter ihm aus.
Ehe Cassian sie aufhalten konnte, rannte sie auf Mica zu. Tatenlos musste er zusehen, wie sie den Vampir umarmte. Dieser blieb mit hängenden Armen stehen. Überraschung zeichnete sich auf seiner sonst so starren Miene ab.
»Florine, komm sofort an meine Seite«, verlangte Cassian rau.
Sie löste sich von Mica, doch einzig, um seine Hand mit beiden Händen zu umfassten. Zwischen ihren von der Kälte roten Fingern wirkte sie wie Marmor.
»Er ist mein Vater. Er ist hier, weil er fürchtet, ich könne enttäuscht werden. So wie ich meinem Kind alles vergeben würde, vergebe ich auch ihm. Ich bin glücklich und andere sollen es auch sein.«
Sein Blick kreuzte sich mit Micas, als Florine auch Cassians Hand in ihre nahm und ihn näher zog. Sie überstrapazierte die Situation nicht, indem sie versuchte, die Hand des Vampirs in die seine zu legen. Schnee verfing sich in ihrem Haar und setzte sich auf ihre Wimpern. Die Kälte schien sie nicht zu stören.
»In mir wächst ein Kind heran, das Mensch ist, Werwolf, und auch das Blut der Vampire in sich trägt. Der Krieg zwischen euch muss ein Ende finden.«
Mica entzog ihr seine Hand, aber nur, um seinen Mantel abzustreifen und ihn Florine um die Schultern zu legen. Der Mantel lappte an ihr herab und schlug Falten am Boden. Micas Geste war von einer Fürsorge, die Cassian niemals von einem Vampir vermutet hätte. Sie waren die größte Gefahr für die Menschheit, unbarmherzige Jäger und Mörder der Wolfssippen, und doch schien ausgerechnet Mica mehr als das zu sein.
»Du wirst noch krank hier in der Kälte, Kind. Geh ins Haus zurück.«
»Ich gehen nirgends hin, ehe ihr ein Versprechen geleistet habt.«
Mica musterte Cassian. Eines hatten sie gemeinsam: den nicht sonderlich ausgeprägten Wunsch nach einem Frieden zwischen ihren Völkern.
»Du erkennst meine Tochter als deine einzige und ausschließliche Gefährtin an und wirst sie mit deinem Leib und deinem Blut beschützen, Werwolf?«
»Das ist mein Wille.« Cassian zog Florine zu sich und legte den Arm um ihre Taille.
Mica machte einen tiefen Atemzug. »Für das alte Volk kann ich nicht sprechen und somit auch nichts garantieren. Was mich betrifft, so gewähre ich den von Florine gewünschten Frieden und werde alles daransetzen, dass er über Paris hinausgehen wird. Um meiner Tochter und meines Nachkommen
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