Söhne der Luna 1 - Im Bann des Wolfes
er um sie geschlungen hatte und zerschmetterte seine Verheißungen ohne Bedauern.
»Kind …«
»Nein. Ich will nichts hören von Unsterblichkeit und der Macht, die du mir schenken willst. Ich lege keinen Wert darauf. Ich kann keine Lamia werden und ich will es auch nicht.«
»Dann warte wenigstens noch eine Weile, bis …«
»Denn niemand kann mir garantieren, dass ich dadurch nicht sein Kind verliere. Um das zu verhindern, würde ich Jahre meines Lebens geben, anstatt die Ewigkeit zu wählen.«
Die Neuigkeit schickte Mica beinahe auf den Rücken, hinein in den Kleiderberg, der sich auf dem Bett stapelte. Eine Schwangerschaft hatte er nicht in Erwägung gezogen. Vielmehr hatte er sie nicht erwägen wollen und ihrem auffälligen Heißhunger eine andere, erträgliche Bedeutung gegeben. Diesmal hatte er sich selbst etwas eingeflüstert. Dabei lag es auf der Hand, nach all den Nächten und Tagen, die Florine mit Cassian verbracht hatte. Details waren eine Zumutung und auch nicht nötig, um sich vorzustellen, wozu ein Werwolf verleitet wurde, wenn es galt, seine Gefährtin zu wählen. Mica stand auf, der Geschmack von Bittermandeln füllte seinen Mund. Sein Glaube daran, dass er Florine im Laufe der Zeit enger an sich binden konnte, war fest in ihm verankert gewesen. Die Frucht in ihrem Leib verhöhnte seine Hoffnung und machte alle Pläne zunichte.
»Ich gratuliere. Du hast den einzigen Weg aufgetan - das Ehrgefühl eines Werwolfs - um ihn unter deinen Willen zu zwingen. Er wird an deiner Seite bleiben, ob ihm an deiner Gegenwart gelegen ist oder nicht.«
»Ich habe nicht vor, ihn damit unter Druck zu setzen. Ich werde ihn zu nichts zwingen«, begehrte Florine auf.
»Mein Haus steht dir immer offen, Tochter. Solltest du jemals deinen Fehler erkennen, bist du und mein Enkelkind stets willkommen.«
»Es ist kein Fehler, Mica. Er hat ein Recht darauf, von unserem Kind zu wissen. Allein darum geht es mir!«, rief sie ihm nach.
Er gab nichts darauf, sondern ließ sie zwischen ihren Schrankkoffern zurück, außerstande, ihr Lebwohl zu sagen oder gar Glück zu wünschen.
Auf dem Weg den karg bewachsenden Hügel hinauf, hatte Florine eigentlich mit einer alten Burg gerechnet. Stattdessen bestand der Stammsitz der Wolfssippe Garou aus grob geschlagenem Mauerwerk unter einer unübersichtlichen Anzahl von Giebeln und Erkern. Schnee bestäubte wie Puderzucker die vielen Giebel und verlieh ihnen einen pittoresken Anstrich. Auf den Mauern hatte sich eine grüne Patina aus Moos abgelagert. Der steil ansteigende Weg, in dem gefrorene Pfützen die Schlaglöcher bedeckten, lief direkt in einen weiten Platz aus, dessen Mittelpunkt das Haus bildete. Von dort aus sah man auf die Hügel und Wälder einer von Menschenhand unberührten Landschaft, deren Gestein unter einer dünnen Schneeschicht verborgen lag. Schneeflocken fielen aus einem niedrig liegenden Himmel, und verleiteten Marielle dazu, beim Aussteigen aus der Kutsche einen Schirm aufzuspannen.
Trotz der Fürsorge ihrer Zofe wurde Florine das Gefühl nicht los, in unmittelbarer Nähe einer Steinlawine zu sein, die jeden Moment über sie hinwegrollen konnte. Was das Wetter betraf, so hatten sie alle zur Übertreibung geneigt. Von den Unterkünften auf ihrem Weg hierher hatte niemand gesprochen. Sie waren das eigentliche Übel gewesen, und einige Nächte in unsauberen Betten hatten sie erschöpft zurückgelassen. Sie fühlte sich ausgewrungen wie ein unbrauchbarer Putzlappen.
»Vor dieser Ruine packt mich das kalte Grausen«, fasste Marielle die Fakten punktgenau zusammen. »Gustave muss eine falsche Abzweigung genommen haben. Ein Gentilhomme würde doch nie in so einem alten Gemäuer hausen.«
Auf dem Weg von der letzten Ortschaft mitten in diesen unberührten Teil der Auvergne hatte es keine Abzweigungen gegeben. Die schmale Landstraße hatte sich in Schlangenlinien die Hügel hinauf und hinunter gezogen. Marielle schlang ihren Umhang fester um sich und verbarg nicht ihren Widerwillen angesichts des wenig einladenden Zieles ihrer Reise.
»Was machen wir jetzt, Demoiselle? Wir können nicht stehen blieben, bis wir festgefroren sind, und lange wird das nicht dauern.«
Der stärker werdende Schneefall erforderte eine Entscheidung, entweder die Rückkehr in die nächste Ortschaft – eine Fahrt von mehreren Stunden – oder der Schutz des Hauses, zumindest unter sein Vordach. Sie biss die Zähne aufeinander und stapfte über den gefrorenen Boden auf die Haustür zu.
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