Söhne und siechende Seelen
Liste selbst zu. Ich kann Ihnen diese Methode nur empfehlen. Sie ist so wirksam wie eine notarielle Beglaubigung und zudem auch noch weitaus billiger.«
Der Fettsack warf sich plötzlich in Richtung Briefumschlag und schmiss dabei den Stifteständer auf seinem Schreibtisch um. Mir war nicht entgangen, dass er schon eine Weile die Entfernung zwischen sich und dem Umschlag abzuschätzen versuchte, und so zog ich ihm im rechten Moment das Dokument unter der Hand weg. »Du bluffst doch, du Bastard«, sagte der Herr Direktor und erhob sich. Durch die Nase schnaubend ging er um seinen Schreibtisch herum und kam auf mich zu. Eilig brachte ich den Sessel vor seinem Tisch zwischen ihn und mich. »Wenn Sie es so wollen, lassen Sie es darauf ankommen. Ich hoffe sogar, dass Sie es darauf ankommen lassen. Ein paar Jahre in Erzurum zu leben ist ein geringer Einsatz dafür, Sie am Boden zu sehen.«
Der Mistkerl schob den Sessel weg und überwand mit einem Schritt den Beistelltisch, also trat ich schnell auf die andere Seite des Tischs. Der Herr Direktor hatte wohl Erfahrung in diesen Fang-mich-Spielen, denn er schob den Tisch mit aller Kraft gegen mich und presste mich am Bauch gegen das Fenster. Erbost trat und schlug ich um mich und begann, mir die Seele aus dem Leib zu schreien. Als ich sah, wie der Dreckskerl seine speckigen Finger nach mir ausstreckte, knüllte ich den Umschlag zusammen und stopfte ihn in meine Tasche. Wütend packte er mich am Arm und zog mich zu sich. Ich hatte keine andere Wahl, als zu kämpfen, soweit es meine Kräfte zuließen. Ich bereute zutiefst, meinen Dallas Gold nicht eingesteckt zu haben. Ich bereitete mich schon darauf vor, dass dieser Kampf in einer endgültigen Niederlage enden würde, als plötzlich die Tür aufging. So schnell konnte ich gar nicht gucken, wie mein stattlicher Retter mit den himmelblauen Augen zu uns kam, den tobenden Kerl am Jackett packte und in einen der Sessel auf der Seite schleuderte.
Mit Killeraugen beugte sich Mutullah Amca über Erdoğan Bey und schnappte seine Krawatte. »Du Drecksack, was hast du mit dem Jungen gemacht?«
»Nichts … Gar nichts«, wimmerte Erdoğan Bey und hob dabei die Hände unschuldig in Brusthöhe.
»Ist das etwa nichts, du Mistkerl?«, erzürnte sich Mutullah Amca und zeigte dabei auf die Druckstellen an meinem Arm. Als Erdoğan Bey daraufhin herumstotterte, packte Mutullah Amca ihn nur noch kräftiger an der Krawatte und stopfte ihm so den Mund. »Sieh mich an, mein lieber Herr Direktor – ich bringe jetzt den Jungen in die Krankenstube und lasse ein Attest ausstellen. Jeder hat den Krach gehört, der aus diesem Zimmer kam, und ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie du über den Jungen hergefallen bist. Damit du Bescheid weißt: Solltest du weiterhin dem Jungen oder seinem Vater Ärger machen, kann ich für nichts mehr garantieren.«
»Eine Verschwörung. Alles Verschwörer …«, zischte Erdoğan Bey zwischen den Zähnen hervor.
Mit einem »Halt die Schnauze, du ehrloser Lump!« spuckte der heldenhafte Fahrer Mutullah dem Mistkerl herzhaft ins Gesicht.
Selbst für mich, der stets versessen darauf war, das letzte Wort zu haben, war das ein hinlänglich kraftvolles Finale. Ohne die Notwendigkeit zu empfinden, dem noch etwas hinzuzufügen, heftete ich mich Mutullah Amca, der zur Tür ging, an die Fersen. Als ich bemerkte, dass er mich tatsächlich zur Krankenstube bringen wollte, fragte ich: »Muss das sein?«
Er nickte. Wenn er das sagte, dann war das auch so. Ich vertraute ihm. Nachdem die Untersuchung beendet war, brachte er mich bis zur Tür der Abteilung, in der meine Mutter arbeitete. Er drückte mir mein Attest über leichte Prellungen am Arm und im Bauchbereich in die Hand und mahnte mich eindringlich, es gut aufzubewahren; dann entfernte er sich von mir und machte sich mit langen Schritten auf in Gott weiß welche Galaxien, um wer weiß welchen Schweinehunden die Flötentöne beizubringen. Für mich gab es auf der ganzen Welt keinen größeren Helden als den Fahrer Mutullah.
dreizehn
der letzte tango im gebet
Der Mörder lag im Tiefschlaf, als ich heimlich sein Zimmer betrat. Vorsichtig trat ich an die Person heran und betrachtete sie eingehend. Sie hatte ein schwermütiges Gesicht, wie es denen eigen ist, die sich einen starken Zweifel zur Doktrin gemacht haben. Sie war schwerkrank und wusste, dass Schlaf sie nicht mehr gesund machen würde. Mit dem Leben, das am seidenen Faden hing, hatte sie abgeschlossen und versuchte
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