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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alper Canıgüz
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entschlossen an meinen Zielort und drang ohne anzuklopfen in das Büro des Amtsleiters Erdoğan Ş. Baykurt ein.
    Erdoğan Bey wurde blass, als er von seiner Scheißzeitung hochblickte und mich vor sich stehen sah. Vielleicht ging ihm durch den Kopf, dass eines meiner Familienmitglieder ihn mit einer Waffe in die Schlagzeilen der Ausgabe des nächstens Tages jener Zeitung in seiner Hand befördern könnte. Dass mein Gesichtsausdruck, der meinen Seelenzustand widerspiegelte, ihn auf diesen Gedanken kommen lassen konnte, war nur allzu verständlich. »Erinnern Sie sich?«, begann ich. »Da war doch dieser junge Mann, der arm, aber in gleichem Maße doof war?« Der Herr Direktor schien nicht die Absicht zu haben, sich mit mir auf Polemik einzulassen. Sofort griff er zum Telefonhörer. Ich erhöhte den Druck: »Überanstrengen Sie Ihr Großhirn nicht weiter, ich bitte Sie! Der besagte Hohlkopf heißt Tuğrul Tanır. Vor ein paar Wochen hat er hier als Abteilungsleiter angefangen. Mit Ihrer Zustimmung.«
    »Was redest du da?« Erdoğan Bey kniff seine Augen hinter seiner selbsttönenden Brille zusammen. Noch immer hielt er den Hörer in der Hand, aber er hatte noch keine einzige Taste gedrückt. »Da wir diesen Taugenichts entfernt kennen, haben wir uns natürlich sehr gefreut, dass er den ehrenwerten Beamtendienst aufnehmen wird. Sehr erstaunt hat es uns allerdings nicht.« Er glotzte mich an wie ein Schaf. »Es hat uns nicht erstaunt, weil wir wussten, dass er die Prüfung bestehen würde. Ich hatte seinen Namen schon vorher auf der Liste der erfolgreichen Absolventen gesehen. Bereits vor der Prüfung, auf einer Liste auf Ihrem Schreibtisch … Ich meine den Tag, an dem Sie mich über die ehrenvolle osmanische Geschichte geprüft haben. Auf der Liste befanden sich neben Tuğrul zudem auch noch zwanzig, fünfundzwanzig weitere Namen.«
    Mit lautem Gelächter legte der Herr Amtsleiter den Hörer auf. »Du Bastard … Jetzt verstehe ich dein Problem. Erzähl weiter.«
    Ich lachte ebenfalls. »An jenem Tag notierte ich mir, bevor Sie kamen, die Namen auf einem Zettel – mit dem Gedanken, sie könnten mir später einmal von Nutzen sein.«
    Das Schwein hatte richtig gute Laune bekommen. Er nahm eine Zigarre aus der Kiste auf seinem Schreibtisch und zündete sie an. »Warte, lass mich raten: Wenn ich die Versetzung deines Vaters nicht zurücknehme, gehst du mit der Liste zum Staatsanwalt.«
    »Es gibt mir ein Gefühl der Sicherheit, mein Herr, dass staatliche Einrichtungen von Faschisten mit einer derart raschen Auffassungsgabe wie der Ihren geleitet werden.«
    Wir lachten einander an. Wir waren beide überzeugt, dass der eigene Trumpf mehr wert war als der des anderen. Schließlich rückte der Herr Direktor seinen Bürosessel ein wenig nach hinten und sagte: »Du Dummkopf. Sag schon, hast du die Namen von der Liste unten auf der Anschlagtafel?«
    »Ich weiß nichts von solch einer Tafel«, erwiderte ich und zählte einige der Namen auf, die ich kurz zuvor gelesen hatte. »Die Namen standen ja ohnehin auf jener Liste. Da brauchte ich nicht nachzusehen.«
    »Du Trottel, glaubst du etwa, dass du mit deinem Spatzenhirn fähig bist, mich zu erpressen?«, knurrte der Herr Direktor. »Nehmen wir an, es war so, wie du sagst, und du hast die Namensliste damals an dich genommen. Wer wird diesem Fetzen Papier denn jetzt Glauben schenken?«
    »Da sprechen Sie einen sehr interessanten Punkt an. In der Tat wird sich niemand auf ein solches Indiz stützen«, meinte ich, zog Hakans Brief heraus und knallte ihn auf den Schreibtisch. »Aber darauf schon.«
    »Hä?« Ich sah, wie beim Anblick des Umschlags sein spöttischer Gesichtsausdruck von einem leichten Zweifel umwölkt wurde. Ein ganzer Stapel dieser Umschläge lag auf seinem Tisch; da war die Wahrscheinlichkeit, dass ich den Zettel mit den Namen gleich in einen davon gesteckt hatte, gar nicht so gering.
    »Wenn der besagte Papierfetzen in einem solchen Umschlag liegt, wird er urplötzlich zu einem höchst wichtigen Indiz. Vor allem, wenn man sich das Datum des Stempels auf der Briefmarke vor Augen führt. Dass der Brief vor der Prüfung abgeschickt wurde, wird von unserem Staat bestätigt.« Der Herr Amtsleiter war wie vom Donner gerührt. »Natürlich habe auch ich bedacht, dass die Namensliste nach Verkündung der Ergebnisse wertlos sein würde. Da fiel mir diese Methode ein, mit der manche Laienkünstler den Diebstahl ihrer Werke zu verhindern versuchen. Also schickte ich mir die

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