Söhne und siechende Seelen
von der Zukunft, unserer glücklichen Zukunft sprachen. Leider war die Zukunft für mich nur eine ferne Erinnerung.
zwölf
die adler fliegen in quanten
Als ich am nächsten Morgen erwachte, fühlte ich mich so erbärmlich wie ein kleinkariertes Hemd. Ja, meine Drogenodyssee hatte mich zu den Antworten geführt, die ich gesucht hatte, doch leider brachten diese Antworten mir nicht den gewünschten Seelenfrieden. Ohnehin war ich nach jeder Rückkehr aus diesem seltsamen Land, wo die Realität sich mir präsentierte, indem sie Schicht für Schicht ihr Gewand ablegte, immer nur noch unglücklicher. Wer weiß, vielleicht würde ich eines Tages endgültig dort hinziehen und den Rest meines Lebens als glücklicher Asylant an der Grenze des Verstands verbringen.
Eine halbe Stunde war es her, dass meine Mutter ihre Liste der täglichen Ermahnungen auf den Tisch gelegt und die Wohnung verlassen hatte, und auch ich sollte ohne viel Zeitvergeuden den Tag beginnen. Doch ich lag wie ein Stein im Bett. Während es so viele Probleme zu lösen gab, war ich dem merkwürdigen Gedanken verfallen, Glück sei eine vernünftige Einheit von Wiederholungen, und versuchte, mir einen geeigneten Lebenszyklus vorzustellen, der ewig andauerte. Ich brauchte eine quälende Ordnung, bei der ich exakt wusste, was in jeder Minute des Tages auf mich zukommen würde. Danach würde zwischen einer Welt voller Glückseligkeit und mir nichts mehr übrig bleiben außer unvorhergesehenen Nachbarsbesuchen und meiner chronischen Angewohnheit zur Masturbation, und auch diese würden zweifellos mit der Zeit verschwinden.
Wie gewöhnlich an solchen Tagen trieb mich nur das Klingeln des Telefons aus dem Bett. »Na, mein Sohn?«
»Papa?«
»Was gibt’s?«
»Schwierige Frage. Ich bin mir nicht sicher, aber meiner Vermutung nach gibt es alles, und es verbirgt sich im Nichts.«
»Ach, du Lausebengel. Hör mal, ich nehme den Bus heute Abend und bin morgen um die Mittagszeit in Istanbul.«
Sein Tonfall schien zu suggerieren, dass ich bis zu seiner Rückkehr durchhalten sollte. Wahrscheinlich hatte er mit meiner Mutter gesprochen. Über den vergangenen Abend. Nachdem sie von der Arbeit heimgekommen war, hatte mein Mütterchen mein merkwürdiges Benehmen bemerkt und sich ziemliche Sorgen gemacht.
»Hast du eine Wohnung gefunden?«
»Ja, das hab ich. Eine schöne Erdgeschosswohnung. Mal sehen … Der Besitzer war nicht da, wir werden mit ihm reden, wenn er zurück ist.«
»Super. Dann sehen wir uns morgen.« Mein Vater antwortete nicht, legte aber auch nicht auf. »Keine Sorge, mir geht’s prima.«
»Morgen Abend spielt Beşiktaş. Wir sehen uns das Spiel zusammen an.«
»Das machen wir.«
»Tschüs, mein Junge.«
Beide schluckten wir. Vater und Sohn. In dem Zustand glichen wir den Helden einer beschissenen Hosenreklame. Ich konnte es nicht ertragen und knallte den Hörer auf. In dem Moment klingelte das Telefon erneut. »Na, mein Junge?«
»Mama?«
»Wie geht’s dir, Junge?«
»Gut, Mamilein, Gott sei Dank. Ich lebe so vor mich hin.«
»Ich gehe heute zum Totengebet für Hicabi Bey. Sei mittags zu Hause und lass uns zusammen essen.«
»Ich will nichts versprechen, Mama. Vielleicht spielen wir heute mit den Jungs. Also ich weiß nicht …« Dabei wusste ich es ganz genau. Ich würde garantiert nicht zu Hause sein.
»Hm«, schnaufte meine Mutter. »Komm wenigstens am Nachmittag, dann gehen wir zusammen zum Gebet. Dein Rebi Abi hat angerufen und dein Şemi Abi …«
Das war also ihr Plan. Ich würde mich Gott nähern und von meinen existentiellen Problemen entfernen. Ich war drauf und dran, mit eindeutiger Sprache zu erklären, es sei mir unmöglich, dieser höflichen Einladung zu folgen, als mir jemand ins Ohr flüsterte:
Das könnte die Gelegenheit sein, nach der du gesucht hast!
Nie hatte ich den Besitzer dieser Stimme gesehen, aber ich war mir ziemlich gewiss über dessen Identität: Es war der Teufel höchstpersönlich! »Okay, wir reden später«, sagte ich und legte auf.
Die folgende Stunde verbrachte ich vor dem Fernseher und sah mir einen Film an, der davon handelte, dass auch dicke Menschen lieben können und akzeptiert werden sollten. Nebenbei bereitete ich natürlich einen Plan vor, gemäß der Empfehlung, die mir mein Freund – oder heimlicher Fan – Luzifer zugeflüstert hatte. Nachdem mein Plan bis ins kleinste Detail durchdacht war, schaltete ich den Fernseher ohne Rücksicht auf das fortdauernde Leid des Fettsacks aus und griff
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