Sohn Der Nacht
dumpfen Horror. Jenny hatte gerade prote stiert, aber Zane hatte sie mit drei sanften Worten beruhigt. Wieso hatte er solche Macht über sie? Warum hatte er sie hier hergebracht? War die Exekution eines Menschen, den sie liebte, Teil ihrer Einführung in ihr neues Leben? Katie schüt telte sich. Ganz klar, Jenny brauchte jetzt Blut, um zu überle ben. Nichts sonst konnte sie in so kurzer Zeit derart verändert haben. Welche Umwälzung hatte sie hinter sich! Es mußte' wundervoll sein, sich wieder so gut zu fühlen - und zur glei chen Zeit genau zu wissen, daß das Leben, das sie bisher geführt hatte, ihre unschuldige Kindheit, zu Ende war. Jemanden zu töten, um sein Blut zu trinken, war nicht das selbe, wie zur Dialyse zu gehen. Plötzlich, im Alter von zwölf Jahren, mußte Jenny ganz neu für sich entscheiden, wer sie war. Sie war nicht länger ein unschuldiges kleines Mädchen. Sie war eine ... Blutsaugerin, ob es ihr nun gefiel oder nicht. Sie mußte töten, um zu leben ...
Oder hatte sie etwa schon?
Katie erinnerte sich wieder, was Zane über einige wenige Liter Blut gesagt hatte, die er in Transfusionspackungen abge füllt hatte. Sie begriff plötzlich, daß er über Merrick gespro chen, Merrick verhöhnt hatte. Aber wenn Merrick das konnte und überlebte, konnte Jenny das dann etwa nicht?
Nicht mit Zane als ihrem Lehrer, dachte Katie.
»Halt«, sagte Zane. »Treten Sie nicht in das Loch.«
Sie blieb stehen. Im Mondlicht sah sie ein schwärzeres Geviert im Schmutz, und dann begriff sie, daß es eine tiefe Grube war - ein Grab. Sie konnte die frisch ausgehobene Erde riechen. Vor Angst wurde ihr Mund trocken. Zane warf Mer ricks verschnürten Körper mit dem Gesicht nach unten auf den Boden, nur wenige Fuß von dem Grab entfernt. Gregory hielt er weiter fest, und der Kleine schien im Augenblick von dem fremdartigen Spiel fasziniert, das diese Erwachsenen da spielten.
Zane blickte sie an. »Steigen Sie in das Loch hinunter.«
»Tu ihr das nicht an«, sagte Merrick. »Ich bitte dich.«
Zane runzelte die Stirn. »Bettele nicht. Das ist unter deiner Würde.« Er nickte in Richtung des Grabes und hob Gregory ein wenig in die Höhe - die leichteste seiner Drohungen. Ent setzt sprang Katie hinunter in das Grab. Es war genauso tief, wie sie groß war, und schloß sie mit feuchtem Dreck und durchtrennten Wurzeln ein. Sie blickte hinauf in Merricks Augen, die nur wenige Fuß entfernt waren. Sie waren von sol cher Trauer und Verzweiflung erfüllt, daß sie wegsehen mußte.
Zane setzte sich auf Merricks Rücken und fing an, Gregory liebevoll auf den Knien zu wiegen. Im Mondschein sah sein Gesicht so weiß aus wie Kalk. Neben ihm stand mit traurigem Gesichtsausdruck und völlig ruhig Jenny.
Katie erinnerte sich an die Drohung, die Merrick gegen Zane ausgesprochen hatte - ich werde deine Gedanken angreifen - deine Erinnerungen. »Wenn du irgend etwas gegen ihn unter nehmen kannst«, flüsterte sie, »dann tu es. Zur Hölle mit dei nem Versprechen.«
Merrick schüttelte ganz leicht den Kopf, und sie begriff, daß es gar nichts gab, was er tun konnte. Er hatte nur geblufft.
»Interessant«, sagte Zane. »Du kannst mich jetzt nicht angreifen, aber du konntest es letzte Nacht. Warum?«
Merrick sagte nichts.
»Du erwartest doch hoffentlich nicht von mir, daß ich glaube, ich hätte diese Erinnerung von selbst gehabt?«
»Welche Erinnerung?« fragte Merrick.
Katie sah einen flüchtigen Ausdruck von Schmerz auf Zanes Gesicht. »Die Zeit in Borneo«, sagte er, »als du mich Fischen gelehrt hast.«
Merrick schloß die Augen. »Wir sind gekentert, und du bist in Panik geraten, weil du dachtest, du müßtest jetzt ertrinken, Du warst noch so jung, daß es dir noch gar nicht richtig klar war, daß du gar nicht erst ertrinken konntest.«
Wovon redeten sie? fragte Katie sich. Waren sie einmal Freunde gewesen? Und wieder fiel ihr auf, daß sie einander genügend ähnlich sahen, um Brüder zu sein.
»Du mußt Jenny sagen, daß sie eine Wahl hat«, sagte Mer rick.
Zanes Gesichtsausdruck verhärtete sich. Er blickte auf Merrick hinunter. »Was machst du dir Sorgen wegen Jenny?«
»Ich würde alles geben, um sie zu retten.«
»Und warum hast du sie dann sterben lassen?«
Auch Jenny blickte auf ihn hinunter. »Ja, warum, Detective Chapman? Ich war wirklich krank. All diese Wochen hin durch, und es hat die ganze Zeit so weh getan. Sie hätten mir helfen können. Wollten Sie es etwa nicht?«
»Von ganzem Herzen«, sagte
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