Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
nach Hause reisen. Das hat Leopold mir versprochen.«
»Sooft du willst, meine Liebste.« Leopold strahlte.
Das sind ja heitere Aussichten , dachte Carla. Wenn das man gut geht.
Bald nach dem Essen verabschiedete sie sich. »Es sieht schon wieder nach Regen aus. Ich möchte einigermaßen trockennach Hause kommen. Hanno und ich hoffen sehr, euch in den nächsten Tagen bei uns zu sehen. Er wird es kaum erwarten können, dich kennenzulernen, Natascha.« Zum Abschied hauchte sie ihrer Schwägerin einen Kuss auf die Wange. Zu weiteren Liebenswürdigkeiten konnte sie sich nicht überwinden.
Leopold begleitete sie noch zu ihrer Kutsche. Sie nahm ihn fest in den Arm. »Ich wünsche dir alles Glück dieser Welt, mein geliebter Bruder. Das musst du wissen.«
Er winkte ihr nach, bis sie in die große Lindenallee einbog und seinen Blicken entschwunden war.
Es war schon dunkel, als Hanno, völlig durchgefroren von der fast einstündigen Kutschfahrt, aus Königsberg zurückkam. Er war bester Laune. Die von der Bank empfohlenen Beteiligungen erwiesen sich als äußerst gewinnbringend, und das Mittagessen mit seinem Freund Kölichen war wie immer amüsant und unterhaltsam gewesen.
Carla erwartete ihn in der Bibliothek. Diener Franz servierte gerade heißen Grog und auf einer silbernen Platte belegte Brote, als Hanno hereinkam und rief: »Na, wie war es auf Troyenfeld. Was hat dein Bruder denn über seine Braut erzählt?«
Carla antwortete nicht. Mit finsterer Miene beobachtete sie den Diener, der noch einmal die Gläser zurechtrückte, die Servietten neu faltete und keinerlei Anstalten machte zu gehen. Mit schneidender Stimme sagte sie: »Es ist gut, Franz. Sie können sich entfernen. Und mit ›entfernen‹ meine ich nicht nur bis hinter die Tür!«
Mit beleidigter Miene und durchgedrücktem Kreuz schritt Franz hinaus.
Carla wartete einen Moment, dann öffnete sie leise die Tür. Franz war nicht zu sehen. »Er ist weg, Gott sei Dank. Sonst hätte es aber auch ein Donnerwetter gegeben.«
»Nun sei doch nicht so streng mit dem Armen.« Hanno lachte. »Die Dienerschaft weiß sowieso immer alles. Du weißt doch: Hier haben die Wände Ohren.« Er biss genussvoll in ein Leberwurstbrot. »Aber nun sag mal: Was für eine Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«, fragte er amüsiert. »Hattest du Streit mit Leopold? Wollte er deine Einwände gegen seine Hochzeit nicht hören?«
»Leopold ist bereits verheiratet!«, sagte Carla aufgebracht.
»Waaaas? Ich fasse es nicht. Wieso denn so überstürzt?«
»Das habe ich ihn auch gefragt. Übrigens, seine Frau ist bereits bei ihm auf Troyenfeld.«
»Ich dachte immer, so schnell schießen die Preußen nicht.« Hanno war sprachlos. Er nahm einen großen Schluck von seinem Grog. »Ist sie wirklich so schön, wie man sagt?«
»Ja«, seufzte Carla. »Sie sieht unglaublich gut aus. Aber neben Leopold, der sich wie ein liebestrunkener Gockel aufführt, wirkt sie nicht sehr glücklich.« Sie schwieg einen Moment. »Stell dir vor, er hat ihr erlaubt, sooft sie will, allein nach St. Petersburg zu reisen. Hast du so etwas schon mal gehört? Das ist doch wohl der Gipfel! Ich fürchte, mein Bruder hat den Verstand verloren.«
Bis spät in die Nacht saßen sie zusammen und sprachen über die plötzliche und so überraschende Wendung in Leopolds Leben, und Carla ließ sich nicht von ihrer Überzeugung abbringen, dass ihr Bruder geradewegs in sein Unglück renne.
Die Vorbereitungen zur Hochzeit auf Troyenfeld dauerten einige Wochen. In der zum Schloss gehörenden Landwirtschaft wurde geschlachtet, geselcht und geräuchert und hektoliterweise Schnaps gebrannt. Die Mamsell und eine Schar von Küchenmädchen waren damit beschäftigt, die Kühlkammern mit kalten Braten, Sülzen, Pasteten und Würsten zu füllen, und der Weinkeller wurde mit teuerstem Champagner und edelsten Weinen aufgefüllt. Alles musste im Überfluss vorhanden sein. In Ostpreußen wurde gefressen und gesoffen, auch in den höchsten Kreisen. Silber wurde geputzt, Tischdecken und Servietten gebleicht und gebügelt. Zahlreiche Schlafräume mussten gelüftet, entstaubt, die Betten frisch bezogen und alle Kamine im Schloss angeheizt werden. Es war Spätherbst und bereits empfindlich kalt. Man erwartete unzählige Hausgäste aus Königsberg, Insterburg und Umgebung, nur die nächsten Nachbarn würden noch in der Nacht nach Hause fahren. Und natürlich würde Fürst Orlowski mit seiner Entourage aus St. Petersburg
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