Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
geflissentlich.
Langsam kam Natascha Orlowski näher, und nun verstand Carla, was Hanno damit meinte, wenn er sagte, sie müsse sehr schön sein. Sie war wirklich außergewöhnlich schön. Ihre schwarzen, zu einer Hochfrisur aufgesteckten Locken umrahmten ein porzellanfarbenes Gesicht mit hohen Wangenknochen, die ihre slawische Herkunft verrieten. Eine einzige Locke fiel ihr in die hohe Stirn. Die schrägen grünen Augen, umrahmt von dichten schwarzen Wimpern, blickten geheimnisvoll, und unter der geraden, kurzen Nase leuchteten volle rote Lippen. Um den schlanken Hals trug sie ein prachtvolles Smaragdcollier, passend zu dem dunkelgrünen Samtkleid.
»Das ist Natascha, meine Frau.« Leopold strahlte.
»Ich weiß, Alfons erwähnte es bereits«, sagte Carla und zu Natascha: »Willkommen in Ostpreußen.«
Sie bemühte sich verzweifelt um ein freundliches Lächeln. Ihre Schwägerin reichte ihr die Hand. Sie war eiskalt. »Ich freue mich, dich kennenzulernen«, sagte sie mit einem harten, rollenden R.
»Ist es nicht fantastisch? Natascha spricht fließend Deutsch und natürlich auch Französisch«, versuchte Leopold die angespannte Stimmung aufzuhellen. »Ihre Mutter war Deutsche, musst du wissen.«
»War?« Carla blickte ihre Schwägerin fragend an.
»Sie ist schon lange tot«, antwortete Natascha.
Fast unbemerkt hatte Alfons Tee serviert, und Leopold, froh über diese Unterbrechung, führte die beiden Damen zu der Sitzgruppe vor dem lodernden Kaminfeuer. Carla liebte den kleinen Salon mit seinen Möbeln aus dunkel geflammtemNussbaumholz, den weinroten Samtportieren, den aus demselben Stoff bezogenen Schabracken und den schweren Smyrnateppichen. Für sie war es der einzige gemütliche Raum in dem großen Schloss. Dort hatte sie sich in ihrer Kindheit oft verkrochen, wenn sie sich nicht gerade in den Gesinderäumen herumtrieb.
Natascha nippte nur kurz an ihrem Tee, dann erhob sie sich. »Ich werde mich bis zum Mittagessen zurückziehen. Die Reise war anstrengend, und ihr habt sicher viel zu besprechen.«
»Natürlich, Liebste.« Leopold sprang auf und küsste ihr die Hand. »Ruh dich ein wenig aus.«
Als die Tür hinter Natascha zufiel, brach es aus Carla heraus. »Wie konntest du nur, Leopold! Eine dermaßen überstürzte Heirat. Ihr kennt euch doch kaum.« Sie war den Tränen nahe. »Und dann auch noch eine Frau aus einer Familie mit zweifelhaftem Ruf.«
»Moment mal, Carla.« Leopold war aufgesprungen und ging erregt auf und ab. »Erst einmal kenne ich Natascha bereits seit einem halben Jahr. Als ich sie das erste Mal sah, wusste ich, dass ich sie und keine andere heiraten würde. Und was soll das heißen: eine Familie mit zweifelhaftem Ruf?« Seine Stimme war jetzt schneidend. »Wie kommst du darauf? Ich verbitte mir solche Äußerungen. Meine Frau ist die Tochter des Fürsten Orlowski. Ich werbe seit Monaten um sie, weil ich sie liebe.« Er schwieg einen Moment. »Als sie endlich ja gesagt hat, wollte ich keine Zeit verlieren, und wir haben uns sofort nach orthodoxem Ritus trauen lassen.«
»Hattest du Angst, sie könnte es sich noch einmal überlegen?« Carla lachte unfroh.
»Ja, geliebtes Schwesterherz, das hatte ich. Ganz St. Petersburg liegt Natascha zu Füßen. Es blieb mir gar nichts anderes übrig, als mich zu beeilen.« Seine Stimme hatte nun alle Schärfe verloren. »Bitte sei mir nicht mehr böse. Glaub mir, ich bin überglücklich. Demnächst werden wir hier auf Troyenfeld noch einmal kirchlich heiraten und unsere Hochzeit mit einem großen Ball feiern, damit alle meine schöne Frau kennenlernen.« Er nahm Carla in den Arm. »Ich bin sicher, auch du wirst meine Frau lieben. Ihr müsst euch nur erst einmal näherkommen.«
Er weiß nichts über sie , dachte Carla, welchen Ruf sie hat . Hoffentlich würde er es nie erfahren.
Das Mittagessen verlief recht einsilbig. Die meiste Zeit redete Leopold, erzählte von St. Petersburg, dem prachtvollen Stadtpalais der Orlowskis, den rauschenden Festen, die dort gefeiert wurden, und davon, wie glücklich er sei, eine so wundervolle Frau gefunden zu haben. »Du wolltest doch immer, dass ich heirate, Schwesterchen. Nun ist es nur etwas schneller passiert als erwartet«, sagte er fröhlich.
Natascha sprach kaum. »Nur ab und zu hat sie gelächelt«, erzählte Carla Hanno später. »Aber es war nur ihr Mund. Ihre Katzenaugen waren kalt.«
»Hoffentlich wird es dir hier in Ostpreußen nicht zu langweilig«, sagte Carla.
»Dann kann ich für einige Zeit
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