Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)
anreisen.
»Was meinst du, mit wie viel Begleitung dein Vater wohl kommen wird?«, fragte Leopold Natascha.
»Keine Ahnung«, sagte diese lachend, »vielleicht mit zehn, vielleicht mit zwanzig Leuten. Und wenn ihm unterwegs jemand gefällt, bringt er den auch noch mit. Du kennst ihn doch.«
Also wurden noch mehr Zimmer hergerichtet. Scheunen mussten für die Kutschen und Pferde der Gäste geräumt und Schlafmöglichkeiten für das begleitende Personal bereitgestellt werden. Um all das kümmerte sich der Haushofmeister Kochta zusammen mit der Hausdame Frau Steinle. Aber natürlich wurde auch Leopold zu diesem und jenem befragt.
Hanno und Carla saßen beim Frühstück auf der Veranda, als Leopold hereinplatzte. »Ich musste dem Chaos im Schloss mal für eine Weile entkommen«, stöhnte er. »Und da das Wetter so herrlich ist, bin ich schnell herübergeritten.«
»Wunderbar!« Carla strahlte. »Erzähl, wie geht es voran?«
»Bei uns herrscht das totale Chaos. Kochta und Steinle führen ein strenges Regiment. Ohne sie wäre ich total aufgeschmissen.«
»Und wie geht es deiner schönen Frau?« Hanno fand Natascha hinreißend und konnte Carlas Bedenken überhaupt nicht verstehen.
»Sie ist mit der Dekoration der Halle und der Empfangsräume voll beschäftigt. Darin ist sie unübertroffen«, sagte Leopold stolz. »Aus St. Petersburg kamen bereits riesige künstliche Blumenarrangements, und die Gärtner raufen sich die Haare, weil sie wohl die Treibhäuser am Tag vor der Hochzeit vollständig plündern wird.«
»Wollte sie nicht nach St. Petersburg reisen, um ihr Brautkleid abzuholen?« Carlas Stimme klang unbefangen.
»Nein, sie hat sich entschlossen, ihre Couturiere aus St. Petersburg anreisen zu lassen. Sie wird heute auf Troyenfeld erwartet. Ein weiterer Grund für mich zu fliehen. Ich habe strengste Anweisung, mich von ihren Räumen fernzuhalten. Ich darf das Kleid auf keinen Fall vor der Hochzeit sehen.« Er rollte die Augen. »Hab ich euch überhaupt erzählt, dass Natascha mit ihrem Vater in Paris war, um bei Charles Worth das Brautkleid zu bestellen? Er ist der berühmteste Modeschöpfer der Welt. Sogar Kaiserin Eugénie soll eine Kundin von ihm sein.«
»Das ist mir bekannt«, bemerkte Carla kühl. Was dachte ihr Bruder eigentlich, sie lebte hier schließlich nicht auf dem Mond!
»Worth hat eine Büste von Natascha anfertigen lassen und das fertige Kleid nach St. Petersburg geliefert«, fuhr Leopold fort.
»Und warum nicht gleich hierher?«, fragte Carla.
»Ursprünglich wollte Natascha ja noch einmal nach St. Petersburg fahren und es bei der Gelegenheit abholen. Auch um es von ihrer Couturiere, falls nötig, noch ein wenig ändern zu lassen.«
»Pah, als hätten wir hier keine Schneiderinnen.«
»Ich habe mir sagen lassen, das Kleid hat fünfzehntausend Franc gekostet, und Natascha befürchtete …«
»… dass die hiesigen Schneiderinnen es ruinieren würden.« Auf Carlas Gesicht erschienen schon wieder rote Flecken.
»Ach, Schwesterchen, nun sei doch nicht beleidigt.« Leopold sah Carla versöhnlich an.
»Ist die Gästeliste schon komplett, wen erwartest du denn?«, fragte Hanno, um das Thema zu wechseln.
Leopold zog einen Zettel aus seiner Tasche und begann vorzulesen. Als die Namen Gustav und Agathe Goelder fielen, rief Hanno begeistert: »Wie schön, Agathe einmal wiederzusehen!«
»Na, vielleicht verliebst du dich ja wieder in sie«, bemerkte Carla süffisant. Zu Beginn seiner diplomatischen Karriere war Hanno, noch unverheiratet, für kurze Zeit in Riga stationiert gewesen. Dort hatte er Agathe, Tochter eines anderen Diplomaten, kennengelernt und sich in sie verliebt. Sie war sehr jung, wild und unkonventionell gewesen und absolutnicht daran interessiert, jemanden aus Ostpreußen zu heiraten und mit ihm in die Provinz zu gehen. Erst viel später, als sie Gustav Goelder auf der Hochzeit eines gemeinsamen Freundes traf, gab sie ihre Vorsätze auf und lebte nun auf Weischkehmen, wo die Goelders eine berühmte Pferdezucht betrieben.
»Ist das nicht süß, meine kleine Frau ist eifersüchtig«, schmunzelte Hanno.
»Was ist denn mit deiner russischen Verwandtschaft, kommt die nicht?« Nun versuchte Carla, das Thema zu wechseln.
Leopold rang in komischer Verzweiflung die Hände. »Natürlich. Vorweg mit den Blumen kamen schon unzählige Fässer mit Wodka und Kaviar, und niemand weiß, wie groß die Entourage meines Schwiegervaters sein wird. Natascha meint, danach könne man nicht fragen,
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