Solaris
von Wahrhaftigkeit erreichen? Kann sie - antwortete ich mir selbst; das war schließlich mein Sachgebiet, da wußte ich Bescheid.
Aber ist es möglich, dieses Schlüsselexperiment zu ersinnen? Anfangs meinte ich, nein; mein krankes Gehirn (sofern es wirklich krank war) konnte ja jedes Wahnbild hervorbringen, das ich nur von ihm verlangte. Nicht nur in der Krankheit, sondern auch im allernormalsten Traum kommt es schließlich vor, daß wir mit Menschen reden, die uns im Wachdasein unbekannt sind, daß wir diesen geträumten Personen Fragen stellen und ihre Antworten hören, wobei wir - obwohl diese Menschen in Wahrheit nur Erzeugnisse unserer eigenen Psyche sind, gleichsam ihre zeitweilig losgelösten, scheinselbständigen Teile nicht eher wissen, welche Worte sie äußern werden, als bis sie selbst (in diesem Traum) zu uns sprechen. In Wahrheit aber sind das ja Worte, die jener ausgesonderte Teil unseres eigenen Denkens präpariert hat, demnach sollten wir sie bereits kennen, sobald wir selbst sie ausgedacht haben, um sie einer fiktiven Gestalt in den Mund zu legen. Was ich demnach auch planen und verwirklichen sollte, immer würde ich mir sagen können, ich sei geradeso vorgegangen, wie wir im Traum vorgehen. Weder Snaut noch Sartorius mußten unbedingt in Wirklichkeit existieren, jedwede Befragung beider war demnach nutzlos.
Ich dachte daran, ein Medikament einzunehmen, irgendein Mittel mit starken Auswirkungen, zum Beispiel Meskalin oder ein anderes Präparat, das Sinnestäuschungen und farbige Gesichte hervorruft. Sollte ich solche Phänomene erleben, so wäre damit bewiesen, daß das eingenommene Mittel tatsächlich existiert und Teil einer stofflichen, äußeren Wirklichkeit ist. Aber auch dies - so führte ich den Gedanken weiter - wäre nicht das gewünschte Schlüsselexperiment, da ich doch weiß, wie das Mittel (das ich ja selbst auswählen müßte) wirken soll. Demnach kann es sein, daß sowohl ein Einnehmen dieses Medikaments, als auch dadurch verursachte Effekte in gleicher Weise Schöpfungen meiner Einbildungskraft sind.
Ich meinte schon, eingeschlossen in den Kreis des Wahnsinns, könne ich daraus nicht ausbrechen: anders als mit dem Gehirn kann ich ja nicht denken, ich kann mich nicht aus mir selbst hinausbegeben und die im Körper ablaufenden Vorgänge auf ihre Normalität hin prüfen. Da erleuchtete mich plötzlich ein ebenso einfacher wie treffender Gedanke.
Ich sprang von dem Stapel eingerollter Fallschirme auf und lief schnurstracks in die Funkstation. Sie war leer. Nebenbei warf ich einen Blick auf die elektrische Wanduhr. Es ging auf vier, das war noch die fiktive Nacht der Station, draußen nämlich herrschte die rote Morgendämmerung. Schnell schaltete ich die Funkanlage für Weitverkehr ein; während ich auf das Heißwerden der Röhren wartete, legte ich mir nochmals im Kopf die einzelnen Etappen des Versuchs zurecht.
Ich wußte nicht auswendig, welches Rufzeichen die automatische Station des Solaris-Satelloids hatte, aber dies fand ich auf einer Tabelle, die über dem Hauptpult hing. Ich gab den Ruf im Morse-Alphabet durch, und nach acht Sekunden kam Antwort. Das Satelloid, oder vielmehr sein Elektronengehirn, meldete sich mit dem rhythmisch wiederkehrenden Signal.
Nun verlangte ich, das Satelloid solle mir angeben, welche Stundenkreise es in Intervallen von zweiundzwanzig Sekunden am Himmelsgewölbe der Galaxis beim Kreisen um die Solaris jeweils schneide, und dies mit Genauigkeit bis zur fünften Dezimalstelle.
Dann setzte ich mich hin und wartete auf die Antwort. Sie traf nach zehn Minuten ein. Ich riß den Papierstreifen mit den ausgedruckten Ergebnissen ab und steckte ihn in die Schublade (dabei paßte ich gut auf mich auf, um nur ja keinen Blick darauf zu werfen), dann holte ich aus der Bibliothek große Himmelskarten, ferner Logarithmentafeln, den Almanach der täglichen Bewegung des Satelliten und einige Hilfsbücher, und nun machte ich mich daran, die Antwort auf dieselbe Frage herauszufinden. Nahezu eine Stunde brauchte ich, um die Gleichungen anzusetzen; ich weiß nicht mehr, wann ich mich zuletzt so kaputtgerechnet hatte, wahrscheinlich noch während des Studiums, bei der Prüfung aus Angewandter Astronomie.
Die Berechnungen führte ich mit dem Großcomputer der Station durch. Mein Gedankengang verlief folgendermaßen: aus den Himmelskarten mußte ich Ziffern gewinnen, die sich mit den vom Satelloid gelieferten Daten nicht völlig deckten. Nicht völlig
- denn das
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