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Solaris

Solaris

Titel: Solaris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Satelloid ist sehr komplizierten Perturbationen unterworfen, durch das Einwirken der Massenanziehungskräfte der Solaris und ihrer beiden einander umkreisenden Sonnen, außerdem durch lokale Schwerkraftveränderungen, die der Ozean hervorruft. Sobald ich bereits zwei Reihen von Ziffern hatte, die vom Satelloid angegebene und die theoretisch auf Grund der Himmelskarten berechnete, konnte ich die Korrekturen in meine Berechnungen einführen; danach hatten sich die beiden Resultatgruppen bis zur vierten Dezimalstelle miteinander zu decken; Abweichungen hatten nur an der fünften Stelle zu bleiben, als Auswirkungen der unberechenbaren Tätigkeit des Ozeans.
    Selbst wenn die vom Satelloid gelieferten Ziffern nicht Wirklichkeit waren, sondern nur das Erzeugnis meines wahnsinnigen Geistes, dann konnten sie sich schon gar nicht mit der zweiten Reihe von Zahlenangaben decken. Denn mein Gehirn konnte zwar krank sein, es wäre aber unter keinen Umständen imstande gewesen, die Rechnung durchzuführen, die der Großcomputer der Station leistete, denn dies hätte viele Monate erfordert. Und folglich - wenn die Ziffern übereinstimmten - existierte der Großcomputer der Station wirklich, und ich hatte ihn in Wirklichkeit benützt, nicht in der Halluzination.
    Mir zitterten die Hände, als ich den papierenen Fernschreiberstreifen aus der Schublade nahm und neben dem zweiten, breiteren auflegte, der vom Computer stammte. Beide Ziffernreihen stimmten so überein, wie ich es vorausgesehen hatte: bis zur vierten Stelle. Abweichungen traten erst an der fünften auf.
    Ich steckte alle Papiere in die Schublade. Also der Computer existierte unabhängig von mir; dies zog nach sich - die reale Existenz der Station und alles dessen, was darin war.
    Ich wollte schon die Schublade schließen, da bemerkte ich, daß sie mit einem ganzen Stoß mit ungeduldigen Berechnungen bedeckter Blätter gefüllt war. Ich zog ihn hervor; ein Blick bewies, daß jemand bereits ein ähnliches Experiment wie das meine durchgeführt hatte, mit dem Unterschied, daß er vom Satelloid nicht Daten relativ zum Himmelsgewölbe
    verlangt hatte, sondern die Messung der Solaris-Albedo in Intervallen von vierzig Sekunden.
    Ich war nicht wahnsinnig. Der letzte Hoffnungsstrahl erlosch. Ich schaltete den Sender aus, trank den Rest Fleischbrühe aus der Thermosflasche und ging schlafen.
    Harey
    Die Berechnungen hatte ich mit einer Art schweigender Verbissenheit durchgeführt, die mich allein auf den Beinen gehalten hatte. Ich war so stumpfsinnig vor Müdigkeit, daß ich es nicht zuwegebrachte, das Bett in der Kabine aufzuklappen. Statt die oberen Haltegriffe zu lösen, zog ich am Geländer, bis alles Bettzeug auf mich niederstürzte. Als ich das Bett endlich heruntergeklappt hatte, warf ich Anzug und Wäsche auf den Fußboden hin und fiel halb betäubt auf das Polster; ich blies es nicht einmal ordentlich auf. Ich schlief bei Licht ein, ich weiß nicht wann und wie. Als ich die Augen öffnete, hatte ich den Eindruck, ich hätte kaum einige Minuten geschlafen. Das Zimmer stand in umwölktem rotem Glanz. Ich hatte es kühl und gut. Ich lag nackt, mit nichts zugedeckt. Dem Bett gegenüber, beim Fenster, dessen Verdunklung halb zurückgezogen war, im Licht der roten Sonne, saß jemand auf dem Stuhl. Es war Harey im weißen Strandkleid, die Beine übereinandergeschlagen, barfuß, sie trug das dunkle Haar zurückgekämmt, der dünne Stoff spannte sich auf den Brüsten, die Arme, braungebrannt bis zu den Ellbogen, hingen herab, und sie schaute unter den schwarzen Wimpern hervor unverwandt auf mich. Lang sah ich ihr zu, ganz ruhig. Mein erster Gedanke war: »Wie gut, daß das so ein Traum ist, bei dem man weiß, daß man träumt.« Trotzdem hätte ich vorgezogen, sie würde verschwinden. Ich schloß die Augen und begann mir das sehr intensiv zu wünschen, aber als ich wieder schaute, saß sie genau wie zuvor. Die Lippen hielt sie so auf ihre eigene Weise gespitzt, wie zum Pfeifen, aber in den Augen lag nichts von einem Lächeln. Ich besann mich auf alles, was ich am Vorabend vor dem Einschlafen über die Träume gedacht hatte. Sie sah genauso aus wie damals, als ich sie zum letzten Mal lebend gesehen hatte, dabei war sie damals neunzehn Jahre alt gewesen, nun wäre sie also neunundzwanzig, aber natürlich hatte sie sich überhaupt nicht verändert - die Toten bleiben jung. Sie hatte dieselben immerzu verwunderten Augen und schaute mich an. - Ich schmeiße etwas nach ihr - dachte ich,

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