Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)
Die blauen Augen waren aufrichtig. Ich würde Sie gern wiedersehen, war die Botschaft – und vielleicht könnten wir uns später auch anders verlustieren, lautete der Subtext.
»Leider bin ich schon vergeben«, sagte Bond mit einem verbindlichen Lächeln und steckte die Karte dennoch ein. »Das bedaure ich sehr.«
»Macht nichts«, sagte sie fröhlich. »Vielleicht treffen wir uns nächstes Jahr hier. Auf Wiedersehen, Mr Bond.«
Während sie zum Empfang schlenderte, ließ Bond die Rückseite ihrer perfekten Figur auf sich wirken. Er hatte genau das Richtige getan, es war die korrekte Vorgehensweise, und trotzdem fragte er sich, ob seine entschiedene Ablehnung nicht ein wenig voreilig gewesen war …
Bond fuhr mit dem Taxi zu seiner Wohnung in Chelsea. Als sie auf den Sloane Square bogen, hellte sich seine Stimmung auf. Der Sloane Square und die Albert Bridge waren die beiden Londoner Wahrzeichen, die sein Herz zu jeder Tages-, Nacht- und Jahreszeit höher springen ließen – hier war er zu Hause. Er wohnte gern in Chelsea – »jener belaubte stille kultivierte Spielraum … , wo ich werkte und wanderte«. Von wem stammten diese Zeilen? Spielt keine Rolle, dachte er, als er den Taxifahrer bat, ihn kurz vor dem baumbestandenen Wellington Square abzusetzen, denn sie drückten so oder so genau das aus, was er empfand. Er schlenderte über den Square zu seiner Haustür und noch während er in seinen Taschen nach dem Schlüssel suchte, machte ihm seine Haushälterin Donalda auf.
»Ach, schön, dass Sie wieder da sind, Sir. Wir haben leider ein Problemchen – die Maler haben im Wohnzimmer eine feuchte Stelle entdeckt.«
Bond folgte ihr in die Wohnung und ließ seine Reisetasche im Flur stehen. Donalda arbeitete seit sechs Monaten für ihn – sie war die Nichte von May, seiner langjährigen, treu ergebenen Haushälterin, die nach langem Zaudern schließlich doch in den Ruhestand getreten war, als sich Arthritis bemerkbar machte. May hatte sie ihm empfohlen: »So bleibt alles in der Familie, Mr James. Wir stehen uns sehr nah.« Donalda war eine schlanke junge Frau Ende zwanzig, wirkte streng und lächelte kaum. Sie schminkte sich nie und trug einen kurzen Pagenkopf mit Stirnfransen – in Bonds Augen eine Nonnenfrisur. Vermutlich hätte sie nur ein bisschen Mühe investieren müssen, um anziehender zu erscheinen, aber die Übergabe von Mays Verantwortungsbereich war so reibungslos vonstattengegangen, dass er nicht den geringsten Wunsch verspürte, diesen geregelten Ablauf in irgendeiner Weise zu stören. Nach einer zweiwöchigen Einarbeitungsphase, in der beide Frauen sich gemeinsam um seinen Haushalt gekümmert hatten, war May verschwunden und Donalda an ihre Stelle getreten. Für ihn hatte sich rein gar nichts geändert: Sein Kaffee war so stark wie immer, sein Rührei hatte die gleiche Konsistenz, seine Hemden wurden weiterhin perfekt gebügelt, die Einkäufe erledigt, die ganze Wohnung makellos sauber gehalten. Donalda hatte sich so nahtlos in seinen Alltag eingefügt, als hätte sie von Kindesbeinen an dafür geübt.
Bond betrat das Wohnzimmer. Die Teppiche waren zusammengerollt, die hohen Regale leer – seine Bücher allesamt in Kisten verpackt und eingelagert – , die Dielen bloß und die Möbel in die Mitte des Raums geschoben und mit Planen bedeckt. Der beißende Geruch frischer Farbe kitzelte ihn in der Nase. Tom Doig, der Innenarchitekt, zeigte ihm den feuchten Fleck, der beim Verrücken eines Schreibschranks in der Westecke zum Vorschein gekommen war. Bond erteilte ihm etwas unwillig die Erlaubnis, nach den Ursachen zu forschen, und stellte ihm für die noch anstehenden Arbeiten einen Scheck über 125 Pfund aus. Seit Jahren hatte er sich vorgenommen, seine Wohnung renovieren zu lassen. Die Lage und die Größe sagten ihm sehr zu und er wollte auf keinen Fall umziehen. Außerdem betrug die Vertragslaufzeit noch 44 Jahre. Bond rechnete – dann bin ich 89, wenn ich es überhaupt so lange mache. Was für einen Mann in seiner Branche äußerst unwahrscheinlich war. Der Gedanke ärgerte ihn – was kümmerte ihn die Zukunft? Was ihn interessierte und beglückte, war das Hier und Jetzt. Wie zum Beweis verbrachte er eine geschlagene Stunde damit, sämtliche Renovierungsarbeiten, die Doig bereits abgeschlossen hatte, zu überprüfen. An allem fand er etwas zu bemängeln.
Nachdem er Doig und seine Leute nachhaltig vergrätzt und verunsichert hatte, sagte er Donalda, sie brauche für ihn kein kaltes
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