Sommer in Maine: Roman (German Edition)
er kurz inne und blickte zu ihr herüber, wohl um sicherzugehen, dass sie ihm weiterhin von der Veranda aus bei der Arbeit zusah.
Sie winkte ihm zu und nahm einen Schluck Wein. Er knabberte weiter am Gras.
Vor ein paar Tagen hatte sie beschlossen, Frieden mit der Kaninchenfamilie zu schließen, die seit Sommeranfang hier wohnte. Sie hatten jede Herausforderung, die Alice ihnen seit Mai gestellt hatte, bestanden. Es war schon bewundernswert, dass sie nicht davor zurückschreckten, sich durch einen Zaun zu beißen und kiloweise Cayennepfeffer in sich hineinfressen, nur um an ein knackiges Salatblatt zu kommen.
Alice hatte lange darüber nachgedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass sie und die Kaninchen sich gar nicht so unähnlich waren: Sie schien auch allen um sich herum lästig zu sein, dabei wollte sie doch auch nur überleben.
Es war sogar dazu gekommen, dass sie den Kaninchen ein paar Karotten aufs Gras neben dem Auto gelegt hatte, aber die hatten sie nicht angerührt. Wahrscheinlich wegen des Menschengeruchs, der daran haftete.
Der da war der Vater. Zumindest vermutete sie das, denn er war das stattlichste der Kaninchen. Sie machte sich wegen der Hitze Sorgen um die Kleinen. Wenn sie doch wenigstens ein bisschen Wasser von ihr nähmen. Pfarrer Donnelly hatte gesagt, dass es der heißeste August im südlichen Maine seit 1893 sei. Er hatte das Jahr mit einer Ehrfurcht genannt, als hätten in jener lang vergangenen Zeit noch die Dinosaurier das Land durchstreift. Dass es das Geburtsjahr ihrer Mutter war, erwähnte Alice nicht.
In den Garten durften die Kaninchen nach wie vor nicht, aber da war sowieso nicht mehr viel zu holen. Die Himbeeren und Bohnen hatte Alice schon geerntet, die Lilien waren verblüht und die Tomaten – tja, die konnte man nur vergessen.
Kathleen war endlich wieder in Kalifornien. Ihre Abreise mit Maggie am Morgen nach dem vierten Juli war so plötzlich gewesen, dass Alice nur vermuten konnte, dass sie ihre Tochter und Enkelin wieder einmal irgendwie beleidigt hatte. Die beiden waren aber auch verdammt empfindlich. Andererseits hatte Kathleen ihr versichert, dass es einfach Zeit gewesen sei abzureisen. In New York gäbe es so viel für Maggie zu tun, hatte sie gesagt.
Ja, klar. Die lästige Frage, zum Beispiel, wo man einen Vater für ihr Kind auftreiben sollte.
Seit ihrer Abreise vor einem Monat hatte Maggie Alice regelmäßig einen Brief pro Woche geschickt. Im letzten hatte sie berichtet, dass sie weiter nach Brooklyn hinein in eine familienfreundlichere Gegend gezogen sei. Die Wohnung sei billiger als ihre alte, aber doppelt so groß, habe ein großes Schlafzimmer und ein kleineres Zimmer, das die meisten vermutlich als Arbeitszimmer nutzen würden, das sie aber als Kinderzimmer herrichten wolle. Mittlerweile habe sie auch ihren Freunden von der Schwangerschaft erzählt, und ihr Boss habe sich einverstanden erklärt, dass sie, wenn das Baby da war, an drei Tagen in der Woche zuhause arbeitete. Sie habe Gabe noch nicht wiedergesehen, wolle ihn aber demnächst zum Kaffee treffen, um mit ihm ein paar praktische Fragen zu klären. Man stelle sich das vor: Man trifft sich mit dem Vater des eigenen Kindes auf einen Kaffee. Und war es für praktische Fragen nicht ein bisschen spät?
Maggie hatte geschrieben, dass sie schon in der fünfzehnten Woche sei, und die Übelkeit noch nicht nachgelassen habe. In ihren Schwangerschaftsbüchern habe sie gelesen, dass dem Kleinen jetzt Haare wuchsen, und war die Vorstellung nicht merkwürdig und herrlich, dass jemandem in ihrem Bauch ein brauner Lockenkopf wuchs? Derartige Details hätte Alice lieber nicht gewusst. Überhaupt waren werdende Mütter heutzutage viel zu ausführlich informiert. Am Ende des Briefes hatte Maggie noch geschrieben, dass sich in fünf Wochen herausstellen würde, ob es ein Junge oder ein Mädchen war. Wenn es ein Junge war, wollte sie ihn Brennan nennen. Das war Alices Mädchenname. Stell dir vor: Ein kleiner Junge, der den Namen unserer furchtlosen Matriarchin trägt! , hatte sie geschrieben, und dann hatte Alice doch gelächelt.
Ihre Antworten hatte sie auf einem kleinen Notizblock verfasst, um sich davon abzuhalten, zu viel zu sagen. In jeden Umschlag steckte sie außerdem ein kleines Andachtsbild. Alice machte sich Sorgen um das Mädchen: Sie schien zu glauben, dass die Aufgaben einer Mutter sich darauf beschränkten, ein Mobile aufzuhängen und bunte Söckchen zu kaufen. Aber dazu sagte Alice lieber nichts.
Ann
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