Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens
Und Charles hat mich auch nicht genommen. Wenn das der Grund für eure Entfremdung ist, dann bist du verrückt. Ich habe etwas Dummes, Schmerzliches, Impulsives getan, und es tut mir leid, dass ich dich damit verletzt habe. Aber bitte, George, versteh: Ich habe meine Liebe einem Mann geschenkt, einem Mann allein, und so ist es nun seit fünfundfünfzig Jahren und wird auch für den Rest unseres Lebens so bleiben. Ich habe eine Wahl getroffen. Ich habe das Leben gewählt, das ich lebe, und es ist ein gutes Leben. Es war besser, als ich mir in meinen wildesten Träumen hätte ausmalen können. Ich kann nur hoffen, dass du das Gleiche über dein Leben denkst.“
„Das habe ich … bis ich Pierce verlor.“ Sein Herz war immer noch wund vor nicht geheilter Trauer. Vielleicht, dachte er, war Pierce’ Verlust der Grund, weshalb es mir immer so wichtig erschien, Philips wahre Geschichte zu erfahren. Jetzt aberwurde ihm bewusst, dass seine Neugierde vollkommen unangebracht gewesen war. Seine DNA weiterzugeben machte einen nicht zum Vater. Sich wie ein Vater zu verhalten machte einen dazu. In allen Bereichen, die zählten, war Philip Charles’ Sohn.
Anders als Mrs Gordon hatte George nicht zugelassen, dass er nach Pierce’ Tod seine anderen Söhne vernachlässigte. Aber Jackie hatte sich verändert, hatte sich von ihrem Ehemann abgewandt, als würde sie die Wucht ihres gemeinsamen Schmerzes nicht ertragen. Anfangs war sie ihren romantischen Abenteuern noch diskret nachgegangen, aber irgendwann hatte es sie nicht mehr interessiert, wessen Herz sie brach. Menschen trauerten auf verschiedene Arten, das wusste George. Sie liebten auch auf verschiedene Weise.
Jane legte ihre Hand auf seine. „George. Mein lieber, süßer George.“ Sie stand auf und umarmte ihn fest. Dann drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange und kehrte zu ihren Vorbereitungen zurück.
Georges Blick verschwamm wieder; die Welt schmolz zu einem von der Sonne gesprenkelten, impressionistischen Bild zusammen. Ein mächtiges Gefühl überwältigte ihn, und das Bild veränderte sich und wurde zu dem Gesicht seines verlorenen Sohnes. Der Wind sang in seinen Ohren. Wir sehen uns bald.
29. KAPITEL
G uter Gott, junge Frau, ich bin noch nicht tot!“ George musterte Claire vom Kopf bis zu den Füßen. „Haben Sie denn kein fröhlicheres Kleid als das?“ Claire zupfte an dem Rock ihres grauen Kleides. Wie alle ihre Sachen war es sehr schlicht und wie dafür gemacht, sie mit dem Hintergrund verschmelzen zu lassen. „Das ist heute Ihr Tag, George! Niemanden interessiert es, was ich trage.“
„Unsinn! Ich rufe Ivy an.“ Er griff nach seinem Handy.
Claire widersprach nicht. Heute war Georges Tag. Sie hatte nicht vorgehabt, nach Avalon zurückzukehren, und doch hatte sie sich in Duke Elders Flugzeug wiedergefunden, das in nördliche Richtung über den Hudson River flog, dessen glänzendes Band unter ihr direkt in die grünen Hügel von Ulster County führte. Zum ersten Mal überhaupt hatte sie gewagt zu glauben, ihre Tortur könne ein Ende haben, sie könne tatsächlich ein Leben führen, das nicht aus einer Reihe von Abschieden bestand.
Ross hatte jemanden namens Tyrone Kennedy im Büro des Staatsanwalts kontaktiert. Mr Kennedy hatte seinen besten Assistenten auf den Fall angesetzt. Ein erneuter Test des Beweismaterials – die Kleidung des Jungen – ergab ausreichende forensische Beweise für einen Haftbefehl. Sobald Vance angeklagt war, würde Claire das fehlende Puzzlestück präsentieren: die blutgetränkte Tasche von Marios Jeans. Mel Reno wurde rund um die Uhr bewacht. Man ging davon aus, dass er sich vollständig erholen würde.
Und einfach so hatte sich alles verändert. Trotzdem glaubte Claire noch nicht daran, dass wirklich alles vorbei war. Dafür hatte sie das System schon zu oft im Stich gelassen.
Doch dieses Mal sollte es anders sein. Das hatte Ross ihr versprochen.
Auch wenn Claire immer noch skeptisch war, hatte sie entschieden, sich heute einmal keine Sorgen zu machen. Sie warin ihrem Zimmer in der Hütte und betrachtete mit finsterer Miene die anderen vier Kleider, die in ihrem Schrank hingen. Beige, Braun, Grau und Schwarz, ihre Standardfarben.
„Hallihallo!“ Ivy klopfte an den Türrahmen ihres Zimmers. „Granddad sagte, du könntest ein bisschen Hilfe gebrauchen?“
Claire drehte sich um und schnappte nach Luft, als sie Ivy sah. „Du siehst unglaublich aus!“
In einem fließenden bunten Seidenkleid flatterte Ross’
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