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Sommer wie Winter

Sommer wie Winter

Titel: Sommer wie Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith W. Taschler
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vergewaltigt und geschlagen, auch die Kinder. Seine Frau hat Marie geheißen und sie hat dreizehn Kinder bekommen, aber nur sechs haben überlebt. Bei allen vier Bergiselschlachten ist er nicht dabei gewesen, sondern nur bei der ersten und bei der dritten. Bei der zweiten ist er so besoffen gewesen, dass er den Aufbruch verpasst hat, und bei der vierten ist er dann zu feig gewesen, da hat er den Kranken gespielt. Elf Franzosen und Bayern hat er auch nicht erstochen, die Frau hat von einem geschrieben. Daheim, auf dem Hof, ist er fast nie gewesen, sie hat die ganze Arbeit allein schaffen müssen.
    Ich bin total enttäuscht gewesen, damals. Das ist also der Held gewesen, von dem ich jahrelang
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so viel geträumt hab. Ein paar Jahre später habe ich das Ganze nur noch lustig gefunden.
    Wie dann der Geburtstag von der Tante Franziska gefeiert worden ist, haben wieder alle vom tapferen Sepp Zingerle geredet. Ich habe der Manu ins Ohr geflüstert, dass der lieber auf die Frau eingeschlagen hat als auf die Franzosen, und die Manu hat das laut gesagt. Die Mutter hat uns so – so entgeistert angeschaut und uns aufs Zimmer geschickt. Der Vater hat aber gegrinst, das weiß ich noch.

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Therapiegespräch im Jänner 1990
Dr. B. und Manuela Winter
    Besser. Es geht mir besser. Nein, ich bin vorgestern aus dem Krankenhaus rausgekommen. Mir ist ja nicht so viel passiert wie dem Alex. Nächste Woche muss ich wieder arbeiten.
    Erzählen – von mir?
    Jeder sagt Manu zu mir, schon immer eigentlich. Ich mache eine Mechanikerlehre. Habe bald die Gesellenprüfung, in zwei Monaten. In Tirol bin ich das einzige Mädchen, das eine Mechanikerlehre macht. Die Eltern sind total dagegen gewesen. Die Mutter ist sogar ausgeflippt. Sie wollte unbedingt, dass ich Köchin oder Kellnerin lerne. Das sind die Berufe der Zukunft bei uns im Dorf. Hat sie gesagt. Damit kann man als Frau gut verdienen. Selbständig kann ich mich machen später, mit einer eigenen Pension zum Beispiel. Ich will aber keine eigene Pension! Mir gehen die Gäste am Arsch vorbei. Die Mutter hat mir die Lehre verboten. Aber mir ist das wurscht gewesen. Habe die Unterschrift gefälscht und dort angefangen. Dann hat sie wochenlang nichts mit mir geredet. Ist mir auch wurscht gewesen.
    Die Arbeit in der Werkstatt gefällt mir. Die Berufsschule nicht so. Der Deutschlehrer dort hat
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mich blamiert, wie ich das erste Mal vorgelesen hab! Vor allen. Er hat den Kopf geschüttelt und geschrien: Du bist ja eine halbe Analphabetin. Ist das ein Scheißtag gewesen! Die Englischlehrerin hat später zu mir gesagt, dass ich Legasthenie habe. Das hat früher in der Schule nie wer erkannt.
    Vielleicht kann ich später meine eigene Werkstatt haben, in Sölden. Das würde mir echt gefallen. Für’s Büro wollte ich immer den Alex anstellen. Das habe ich ihm einmal gesagt. Da hat er gelacht und gesagt, er bleibt sicher nicht im Dorf. Aber wir wären ein gutes Team. Das weiß ich.
    Ja, ich vermisse meinen Vater. Obwohl sich eigentlich nicht viel geändert hat. Er ist immer wenig da gewesen. Aber ich habe mich nicht schlecht mit ihm verstanden. Auf alle Fälle besser als mit der Mutter! Sie geht mir auf die Nerven. Er hat mir mehr erlaubt als sie.
    Mit dem Alex habe ich mich immer gut verstanden. Auch als Kind. Sind immer zusammengesteckt. In der Volksschule und in der Hauptschule sind wir in der gleichen Klasse gewesen. Er hat sich leichtgetan beim Lernen. Manchmal bin ich echt neidisch auf ihn gewesen. Aber er hat mir geholfen. Bei den Hausübungen und bei den Schularbeiten auch noch. Er hat mich abschreiben lassen. Hilfsbereit ist er.
    Vor dem Vater hat er Angst gehabt. Das hat er mir mal erzählt. Aber der Vater hat ihn auch nie
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in Ruhe gelassen. Einmal hat er zum Alex gesagt, dass sich Gäste über ihn beschwert haben. Weil er als Liftwart nur stocksteif dasteht. Keine Schmähs reißt. Er soll sich gefälligst mehr zusammenreißen. Nicht so fad sein, sondern ein spritziger Tausendsassa. Genau so hat er es gesagt: Einen spritzigen Tausendsassa brauche ich für die Gäste!
    Bei solchen Sachen habe ich immer gedacht, ich muss dem Alex helfen. Weil er hat sich nie gewehrt.

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Therapiegespräch im Jänner 1990
Dr. Z. und Alexander Sommer
    Ja, wir haben viel arbeiten müssen, auch schon als kleine Kinder, aber das ist etwas ganz Normales für uns gewesen. Die meisten Kinder im Dorf haben viel arbeiten müssen. Es wäre uns komisch vorgekommen, nicht zu arbeiten. Gearbeitet hat man am

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