Sommer wie Winter
wenigsten am Sonntag, aber auch da hat man in den Stall gehen müssen, und die Gäste haben auch ihr Frühstück und ihr Abendessen haben wollen.
Wir haben da und dort mithelfen müssen, was gerade angefallen ist, entweder im Stall, auf dem Feld, bei den Gästen oder im Sommer auf der Alm.
Die Gäste haben den Kontakt zu uns gesucht, jetzt ist das ja nicht mehr so, außer bei den Stammgästen. Die haben unsere Namen wissen wollen und so viel mit uns geredet. Früher hat’s auch nur zwei Badezimmer und zwei Klosetts bei den Gästezimmern gegeben, die sind am Gang gewesen, eins im ersten Stock und eins im zweiten. Da ist es manchmal vorgekommen, dass am Abend ein paar Gäste hintereinander unser Bad benützt haben. Natürlich haben sie vorher die Mutter gefragt, ob das in Ordnung geht, und sie hat jedes Mal gesagt: Selbstverständlich, das ist überhaupt kein Problem, selbstverständlich,
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lieber Herr Gast, fühlen Sie sich wie zu Hause! Wenn wir dann noch schnell duschen oder baden haben wollen, ist nur das kalte Wasser übrig gewesen.
Am Abend sind sie mit uns allen in der Stube gesessen und wir haben sie unterhalten müssen. Familienanschluss, so hat die Mutter das genannt. Wenn sie im nächsten Jahr wiedergekommen sind, dann wehe, man hat ihre Namen nicht mehr gewusst oder wie der Goldfisch daheim heißt, dann sind sie beleidigt gewesen. Sie sind mir so auf den Sack gegangen!
Immer hat es eine Fragerei gegeben, wegen meinem Nachnamen oder weil die Manu und ich gleich alt waren. Entweder haben sie meinen Nachnamen nicht gewusst, dann haben sie gefragt: Seid ihr Zwillinge? Oft haben wir dann einfach ja gesagt, weil es uns zu blöd gewesen ist, immer das Gleiche zu erzählen. Die Mutter hat das aber jedes Mal schnell aufgeklärt und es hat ihr gefallen, wenn ein Gast gesagt hat: Ein Pflegekind haben Sie auch noch aufgenommen, Frau Winter, bei der vielen Arbeit, die Sie ja schon haben! Sie ist sich so christlich vorgekommen dann.
Die Gäste haben mich danach ausgefragt, ob ich ein Waisenkind bin und wieso meine leiblichen Eltern gestorben sind. Das habe ich aber nicht gewusst, das haben die Eltern mir nie erzählt. Darüber ist einfach nicht geredet worden. Die Gäste
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haben mich immer so interessiert und mitleidig angeschaut, oft hat mich eine Frau gestreichelt! Einmal habe ich gehört, wie der Vater zur Mutter den Witz gemacht hat: Allein für die Gäste hat sich der Alexander ausgezahlt, meinst nicht? Die Gäste können bei uns nicht nur ihr Geld, sondern auch ihr Mitleid loswerden!
Ich habe lieber mit dem Vieh gearbeitet und habe das auch gut können. Deswegen hat mich der Vater im Sommer auf die Alm geschickt, damit ich dem Kröll Matthias beim Vieh helfe. Der Matthias ist unser Senn gewesen und auch der vom Nachbarn. Mit sechs bin ich das erste Mal zu ihm rauf, fast den ganzen Sommer lang. Vorher hat die Anna immer rauf müssen, aber sie ist ungefähr so jeden zweiten Tag heimgekommen, weil sie’s kaum ausgehalten hat. Ich bin nur einmal in der Woche heimgegangen, am Sonntag, das hat die Mutter angeschafft, wegen der Messe. Ich habe mich mit dem Matthias so gut verstanden, ich habe meine Arbeit gemacht und er hat mich in Ruhe gelassen. Am Abend haben wir Karten gespielt oder er hat mir das Schnitzen beigebracht. Er hat nicht viel geredet, und das ist mir nur recht gewesen. Er hat so gute Spiegeleier mit Speck gemacht.
Am letzten Ferientag bin ich so spät wie möglich runtermarschiert. Aber es hat mir nie was genützt! Ich habe baden gehen müssen und mich dann sofort
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zu den Gästen in die Stube setzen. Die haben Geschichten von der Alm hören wollen, wenn möglich lustige. Ich bin zuerst so dagesessen und habe nichts rausgebracht. Zuerst den ganzen Sommer lang nur Kühe um dich herum und kaum was geredet, dass man sich selber wie eine Kuh vorkommt, und dann – dann soll man Leute unterhalten! Einmal habe ich nichts gesagt und ganz laut Muuuh gemacht und alle haben gelacht.
Ich bin so gern auf der Alm gewesen. Wie ich zwölf gewesen bin, hat der Vater den Almbetrieb dann auf das Jungvieh reduziert, weil sich das nicht rentiert, hat er gesagt. Ein- oder zweimal in der Woche habe ich nachschauen müssen, sonst nichts, melken hat man nicht mehr müssen. Die Hütte ist jetzt ziemlich verfallen, ich bin aber trotzdem viel oben gewesen, wenn ich Zeit gehabt habe und wenn ich meine Ruhe haben wollte.
An einen Gast denke ich aber gern. Er ist jedes Jahr im Sommer und im Winter gekommen. Seit drei
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