Sommergewitter
Gartenlampions, die mein Onkel noch schnell im Baumarkt besorgt hatte, hielten uns an unseren Gläsern fest und sagten kein Wort.
»Es ist ja so schön, dass ihr alle da seid«, versuchte meine Mutter ein Gespräch in Gang zu bringen. »Wir hoffen, dass wir die schreckliche Aufregung schnell vergessen können. Es tut uns sehr leid, Rüdiger, dass du in die Schusslinie geraten bist, wirklich.« Sie wandte sich ihm mit einem bedauernden Blick zu.
Rüdiger zuckte die Achseln, als stünde er darüber und es wäre ihm völlig schnuppe.
»Wir möchten uns dafür aufrichtig entschuldigen und . . .«
»Schon gut, Frau Senkel«, unterbrach er meine Mutter.
»Ja, dann lasst uns doch vielleicht darauf anstoßen,dass Ginie wohlbehalten wieder in unserer Mitte ist!« Sie hob ihr Glas.
»Und darauf, dass mein Sohn kein Mädchenmörder ist«, sagte Rüdigers Vater sarkastisch. Er warf Ginie einen geringschätzigen Blick zu, »sondern nur von einer verzogenen Göre ausgenutzt wurde.«
»Es war wirklich kein besonders feiner Zug von meiner Tochter«, würgte mein Onkel hervor und drehte nervös sein Sektglas zwischen den Fingern. »Andererseits hat er ihr ja freiwillig geholfen und . . .«
»Natürlich«, kam ihm Rüdigers Mutter zur Hilfe. »Lasst es jetzt gut sein. Rüdiger hätte ja auch ein Wörtchen sagen können.« Sie fuhr ihrem Sohn mit der Hand den Rücken entlang, was er über sich ergehen ließ, ohne mit der Wimper zu zucken. »Vergessen wir diesen Albtraum doch einfach. Stoßen wir an. Prost! Auf das gute Ende der Geschichte!«
»Prost!«
Ich sah den Leuten beim Trinken zu. Kaum jemand sah sich in die Augen, niemand sprach. Allen schien die Situation unangenehm zu sein. Ob ihnen der Sekt schmeckte? Mir nicht. Er war mir zu süßlich, löste ein Husten in meiner Kehle und ein Kribbeln in Nase und Augen aus.
Steffi warf mir einen verstohlenen Blick zu. Sie stand bei ihrer Familie, Alexa und Florian waren auch dabei, eine traute Gemeinschaft.
Beim Ankommen hatte sie mich kurz zur Seite genommen und berichtet, dass sie sich nach einem heftigen Streitgespräch mit ihrer Schwester und Florian wieder versöhnt habe. »Es ist alles in Ordnung, Annika«, hattesie mir zugeraunt. »Seine . . . äh . . . das waren nur unglückliche, unabsichtliche Zufälle. Vergiss es also. Bitte! Und lass Florian in Ruhe. Ich habe dich nicht darum gebeten, dich einzumischen.«
Ihre Worte und die Art, auf die sie sich dann von mir weggedreht und bei Alexa eingehakt hatte, hatten mir einen Stich versetzt.
Rasch trank ich noch einen Schluck. Ich wollte das jetzt vergessen. Ich wollte locker werden. Das war hier doch eine Party. Sollten wir nicht alle fröhlich sein?
Keine Chance. Ich konnte trinken, so viel ich wollte, mein Husten wurde nur noch schlimmer. Außerdem konnte ich nicht einfach abschalten, ich dachte an Steffis Aufregung, als sie mir im Auto von Florians Belästigungen erzählt hatte.
Natürlich war es theoretisch möglich, dass Florian sie nicht absichtlich angetatscht hatte. Steffi war generell sehr empfindlich und besonders gestern extrem hysterisch gewesen. Sie konnte da schon etwas falsch gedeutet haben. In etwa so, wie sie Rüdigers einsame Spaziergänge falsch gedeutet hatte.
Andererseits war alles echt gewesen: ihr Ekel, ihre Angst, ihre Scham. Ich jedenfalls hatte ihr geglaubt.
Und hatte wiederum so vieles geglaubt . . .
Ich sah Florian an. Seine Hand lag ganz ruhig auf Alexas Po. Die Wahrheit würde ich wohl nie herausfinden.
Florian begegnete meinem Blick. Ungehalten verzog er das Gesicht. Der ganzen versöhnlichen Feierei zum Trotz: Die Ohrfeige war keinesfalls vergessen.
Die Gäste verteilten sich, Jonas’ Eltern sprachen mitSteffis, meine mit Rüdigers, mein Onkel wusste nicht recht, mit wem er reden sollte, stellte sich erst zu Ginie, dann hinter den Grill.
Ich ging auf Rüdiger zu. »Ginie hatte tatsächlich ernste Gründe, sich so zu verhalten. Bei Gelegenheit erzähl ich dir das mal, wenn du willst. Oder vielleicht tut sie’s auch selbst. Das wäre natürlich noch besser. Wie auch immer, sie hat dich nicht nur ausgenutzt, sie war wirklich verzweifelt.«
Rüdiger lächelte ein bisschen. »Das habe ich mir ja selbst schon gedacht. Du bist unverbesserlich nett, Annika.«
Ich zwinkerte. »Ist das ein Kompliment?«
»Wenn du willst.«
Steffi und Jonas trauten sich zu uns. Sagten noch mal, dass es ihnen leidtue.
»Ist okay«, sagte Rüdiger. »Aber aus unserer Fahrt nach Amsterdam und dem Zelten in
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