Sommergewitter
schwimmen, dachte ich und fühlte mich gefrustet, als ich die Decke erreichte, die Jonas und Rüdiger am Ufer ausgebreitet hatten.
»Annika, cremst du mich ein?« Jonas hatte sein T-Shirt abgestreift, streckte mir seinen schlanken, muskulösen Rücken hin. Ich nickte automatisch, ließ mich auf die Knie fallen und nahm die Tube mit der Sonnenmilch. Rüdiger legte die Sommerhits in den C D-Player , die Bässe dröhnten durch die Mittagsstille, Jonas bewegte sich rhythmisch zur Musik.
»Hopp, hopp, mach hinne, Alter, eincremen lassen kannst du dich gleich noch«, drängelte Rüdiger, »komm ins Wasser!«
»Mann, jetzt bleib mal locker im Schlüpfer!«, antwortete Jonas und sprang dann ohne Vorwarnung auf, um Rüdiger in den See zu schubsen.
Steffi kicherte. »Jungs«, sagte sie zu Ginie, als müsse sie ihr deren Verhalten erklären, erwischte dann eine Pferdebremse auf ihrem Bein, ließ den toten Blutsauger neben die Decke fallen, schob mit dem nackten Fuß routiniert Sand darüber – »Klappe zu, Bremse tot.« –, grinste, riss die Tüte mit den mittlerweile weich gewordenenSchokokeksen auf, steckte sich einen in den Mund, leckte die Finger ab, fragte: »Kekse? Nein? Kommt ihr?«, und folgte den Jungs ins Wasser, ohne auf eine Antwort von uns zu warten.
Ich blieb sitzen, sah Ginie an. Sie stand noch immer komplett angezogen ein paar Meter neben der Decke und sagte kein Wort.
»Soll ich dich auch eincremen? Wenn ich schon mal dabei bin . . .« Ich hielt meine verschmierten Hände hoch. »Oder willst du erst ins Wasser?«
»Weder noch.«
»Och, komm! Sei keine Spielverderberin!«
Sie seufzte, ließ den Blick schweifen. Irgendwo an den oberen Rändern der Sandberge sah man ein Fernglas aufblitzen. Dort wartete bestimmt jemand gerade darauf, dass wir uns auszogen. Wieder hatte ich dieses ungute Gefühl. Aber Spanner und Exhibitionisten waren harmlos, das wusste jedes Kind. Und unser Baggersee
war
schön. Trotz des Drecks, trotz der Gefahren hatte ich mich hier immer wohlgefühlt. Ich sollte pfeifen auf das, was Ginie dachte!
»Wenn’s denn der Sache dienlich ist.« Ginie streifte sich ihr T-Shirt über den Kopf. Darunter trug sie einen Bikini meiner Mutter, der ihr ein wenig zu groß war und mich irritierte. Sie erinnerte mich jetzt ein bisschen an meine Mutter, und als sie sich die schwarz gefärbten Haare hinters Ohr strich, war es exakt die gleiche Bewegung, die meine Mutter zu machen pflegt. Das machte sie mir auf einmal wieder vertraut und sympathisch. Plötzlich wollte ich sie auf jeden Fall glücklich machen, also bot ich ihr Kekse und Cola an und bat sie mehrfach,doch wenigstens einmal einen Fuß ins Wasser zu halten, sie würde schon sehen, wie schön das sei!
»Später vielleicht.« Ginie lächelte nicht unfreundlich, aber doch immer noch unterkühlt, und da zuckte ich die Achseln und folgte meinen Freunden.
Das Wasser war sehr kalt, vielleicht, weil der See so tief ist, vielleicht, weil unsere Körper durch die Hitze so empfindlich reagierten. Ich machte kräftige Züge, schnappte nach Luft, wenn eine besonders kalte Stelle kam, tauchte auch mal, sah aber nichts als trübe Finsternis.
Steffi, Jonas und Rüdiger waren ziemlich weit draußen, ich musste mich ins Zeug legen, wenn ich sie einholen wollte. Auf halber Strecke machte ich eine Pause und drehte mich zu Ginie um. Sie saß immer noch an der gleichen Stelle auf unserer überdimensional großen Picknickdecke, die Steffis Schwestern extra für uns vier Unzertrennlichen hatten anfertigen lassen. Sie war ockerfarben mit einem riesigen grünen Kleeblatt in der Mitte, das ziemlich ulkig aussah.
Ginie tat mir leid. Sie passte dort nicht hin und wahrscheinlich wusste sie das. Zu einem Glückskleeblatt gehören nur vier Teile.
Ich tauchte noch einmal unter. War ich nur wieder zu kritisch in meiner Selbsteinschätzung oder hatte ich sie wirklich zu schnell mit zu meiner Clique geschleppt? Als sie und ich auf dem Dachboden übers Tanzen redeten, hatten wir uns doch schon richtig gut verstanden. Hatte ich sie mit meinem Baggerseevorschlag überfahren? Oder bildete ich mir das alles nur ein? Ich hatte es jedenfalls nur gut gemeint.
Als ich meine Freunde erreichte, fragten sie, warum Ginie nicht mitgekommen sei.
»Keine Lust«, murmelte ich.
»Keine Lust?«, wiederholte Jonas ungläubig. »Wie ist die denn drauf? Bei dem Wetter gibt’s doch nichts Besseres!«
»Lass mal, Jonas, sie ist bestimmt ein bisschen schüchtern, sie muss ja erst mit
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