Sommerstueck
war, und das altertümliche Telefon, ein verschnörkelter Holzkasten mit Kurbel, das von hier aus direkt in das nächste Heimatmuseum wandern würde. Herr Rahmer war einstmals ein gewichtiger Mann in der Gemeinde gewesen, dafür gab es Beweise, die er mit genauen Daten verknüpfen wollte, nach denen er in seinem alten Kopf herumsuchen mußte, da aber schnellte Olga ihren Kopf heraus, den sie sonst schläfrig wie eine Schildkröte in ihrem faltigen Hals eingezogen hielt, und stieß, unfehlbar richtig, das gesuchte Datum hervor. Tja – das könne sie, sagte Herr Rahmer, und Frau Rahmer setzte hinzu: Das sei aber auch das einzige, was sie könne. Und rumtreiben. Na, na, sagte Herr Rahmer. Das seien doch alte Geschichten. Antonis schlug vor, sie sollten zur Sache kommen. Endlich blüht die Aloe, endlich trägt der Palmbaum Früchte...
Sie besichtigten das Haus, an dessen Urzustand wiruns nur mühsam erinnern können, nur wenn wir in Gedanken neben Herrn Rahmer noch einmal durch die paar Stuben gehen, die zugige, nach allen Seiten hin offene Küche – kein Wunder, wenn Frau Rahmer hier Rheuma gekriegt hatte! Mit ihren Krücken humpelte sie die ganze Zeit nebenher, sie sei zu nichts mehr imstande, das würden wir nun doch selber sehen –, die leeren Ställe, in denen altes Stroh lag, ein paar Hühner kratzten darin herum, schließlich der Hof, die riesige Wiese mit den Obstbäumen. Na, sagte Jan leise zu Ellen: Das ist es, wie? Ellen nickte. Gleich bei diesem ersten Gang, sagte Jan später wieder und wieder, habe er vor sich gesehen, was daraus zu machen war. Nicht die Arbeit in ihrem ganzen Umfang, die auf sie zukam, das nicht. Aber die Umrisse eben, eine Art Vision, die, während sie sich allmählich verwirklichte, die Erinnerung an das alte Haus in uns verdrängte. Das Haus, wie es dann wurde, wird in uns weiterleben, jeder Winkel, jede Abmessung, jeder Lichteinfall zu jeder Jahreszeit ist für immer in uns aufbewahrt. Nicht nur das Sommerlicht, aber das am stärksten.
Ob sie es sich denn auch gut überlegt hätten, fragte Ellen Frau Rahmer; schließlich wollten sie ihr doch nicht ihr Haus wegnehmen. Da gebe es nichts mehr zu überlegen, hatte Frau Rahmer erwidert. Ihre Hüfte werde auch nicht mehr besser, und wer solle am Ende das Ganze bewirtschaften.
Was denkst du, fragte Jan nun Jenny. – Da fragst du noch? Frag Mutter. – Die ist dafür. – Tatsache? Ich auch. – Luisa umklammerte kurz und heftig Ellens Oberarm. Antonis, der Vermittler, hatte die Entscheidung Herrn Rahmer, dem Besitzer, mitzuteilen. Es freueihn, sagen zu können, die Sache sei perfekt. Herr Rahmer und Jan tauschten mitten in der Rahmerschen Küche einen langen festen Händedruck. Nächste Woche käme der Schätzer, danach könnten sie den Kaufvertrag abschließen.
Endlich schwindet Furcht und Weh... Ellen hatte eine kurze unwirkliche Erscheinung von einem zukünftigen Leben in diesem Haus, die aber, anders als Visionen sonst, an die Wirklichkeit nicht heranreichte. In die Wohnstube zurückgekehrt, hatten sie einen Klaren zu sich nehmen müssen, Olga hob ihr Glas: Prösterchen! und ließ sich nachschenken. Dann konnte man gehen – nicht ohne daß Jan Herrn Rahmer fragen mußte, ob der alte Herr mit Bart, dessen großformatiges Foto unter Glas über der Tür hing, vielleicht sein Vater sei. Aber nein doch! hatten alle drei Rahmers zugleich ausgerufen. Das sei ihr Bruder Johannes, der zur Zeit der neuapostolischen Gemeinde vorstehe, der sie alle angehörten und von der sie so viel Gutes hätten. Jenny fragte mit ihrer undurchdringlichen Miene, was sie denn Gutes von der neuapostolischen Gemeinde hätten, da bekam sie den Bescheid, nun, viele Brüder seien zum Beispiel Handwerker. Oh, sagte Jan. Ob Herr Rahmer ihm wohl Adressen von seinen Handwerkerbrüdern geben würde. Freilich, sagte Herr Rahmer. Dat geit kloar.
So, sagte Jan, wieder auf der Dorfstraße, jetzt stehn wir unter dem Schutz der neuapostolischen Gemeinde. – Endlich wird der Schmerz zunichte... Es sei so schön, so unglaublich schön, sagte Luisa, mit diesem Jubel in der Stimme, sie würden Nachbarn werden, sie freue sich so. Bleib ruhig, Kleine, sagte Antonis, ließsich nichts anmerken und fing an, mit Jan über Rohr, Holz und Maurer zu sprechen, und wenn man die vielen Stunden, die sie seitdem über Rohr, Holz, alte Möbel, Maurer, Zimmerleute und Ofensetzer gesprochen haben, hätte zählen wollen, dann hätte man an jenem Ostersonntag damit anfangen müssen, aber daran
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