Head Shot: Thriller (Knaur TB) (German Edition)
Kapitel 1
I ch erinnere mich daran, wie Florencia sich an diesem Morgen ankleidete. Ich lag noch im Bett und tat so, als läse ich ein Buch. Nur Augenblicke zuvor waren wir so intim gewesen, wie zwei Menschen nur sein können, Verstand, Körper und Seele vollkommen miteinander verschmolzen.
Trotzdem wusste ich auch in jenem Moment, während ich zusah, wie sie ihre Haare bürstete und in ihren Slip schlüpfte, dass sie eine andere Person war, bereits in Gedanken mit dem vor ihr liegenden Tag beschäftigt. Auch auf mich wartete einiges, um mich in Anspruch zu nehmen, aber ich entfernte mich nie weit von diesem Schlafzimmer und diesem Moment. Körperlich würde ich mich im Stockwerk darunter aufhalten, im Wohnzimmer, an dem Eichentisch, den Florencia mir zu Weihnachten geschenkt hatte, während mein Verstand im Auftrag meiner Kunden auf der Suche nach verborgenen Informationen die Erde überflog – der Teil meines Verstandes, der nicht bei der Erinnerung an diesen Morgen verweilte, dem Geruch und Gefühl von Haut an Haut, von uneingeschränkter Anbetung.
Sie wandte sich mir zu, während sie im Stehen in ihre Pumps schlüpfte, eine irgendwie unbeholfene Haltung, die durch den Etuirock, der ihre Knie umschloss, noch verstärkt wurde. Durch den Vorhang schwarzer Haare, der ihr Gesicht umrahmte, lächelte sie mir zu, amüsiert von ihrer eigenen Ungeduld. Ich erwiderte ihr Lächeln und widerstand dem Drang, die Arme nach ihr auszustrecken, sie am Handgelenk zu packen und zurück ins Bett zu ziehen, wo ich den Prozess umkehren, die Uhr zurückstellen, den unvermeidlichen Tag aufschieben konnte. Ich hatte meine Chance, als sie sich vorbeugte, mir einen flüchtigen Kuss gab und meine Wange streichelte, doch ich ließ sie gehen, ohne dass sie etwas von meinem Verlangen ahnte.
Eine halbe Stunde später saß ich mit meiner zweiten Tasse Kaffee und einer Portion Knuspermüsli mit Erdbeeren und braunem Zucker angezogen vor meinem Computer und arbeitete. Die Arbeit, die ich mir für mich ausgedacht hatte, bezeichnete ich gewöhnlich als freiberufliche Recherche, doch in Momenten der Selbstbeweihräucherung beschrieb ich mich als Samurai des Informationszeitalters. Als Faktenjäger. Falls es etwas gab, das man unbedingt wissen wollte, und dieses Wissen auf normalem Weg nicht zu erwerben war, konnte man mich anheuern, damit ich es entweder zutage förderte oder die Nachricht überbrachte, dass es nichts zu wissen gab.
Ich liebte diese Arbeit. Bei den meisten der gutbezahlten Aufträge handelte es sich um klassische Marktforschung – quantitative und qualitative Studien, zu denen Umfragen, Zielgruppen, Telefonanrufe und persönliche Interviews gehörten. Ich hatte mich auf nichts spezialisiert, die Themen konnten alles von Zahnpasta bis zu gesellschaftlichen Trends umfassen, doch hatte ich mir einen gewissen Ruf erworben, Antworten zu produzieren, die anderen entgingen.
Mir war aufgefallen, dass eine Wechselwirkung zwischen der Größe einer Firma und der Qualität der Ergebnisse zu bestehen schien. Vielleicht war das der Schlüssel meines Erfolgs: Meine Firma hatte nur einen Angestellten: mich. Und eine Firmenphilosophie, die großen Wert auf Hartnäckigkeit legte sowie auf die Bereitschaft, den bequemen Bildschirm zu verlassen und Antworten bis zu ihren Ursprüngen zu folgen.
Dies erforderte ziemlich viel Feldarbeit, eine weitere meiner Lieblingsbeschäftigungen. Ich kam nicht nur aus dem Haus, sondern kompensierte auch meine absolute Gleichgültigkeit gegenüber sportlicher Betätigung – sonst hätten sich die fünfzehn Kilo Übergewicht, die ich mit mir herumschleppte, wie fünfundzwanzig angefühlt. Oder schlimmer.
Aufträge, die nichts mit Marktforschung zu tun hatten, waren meistens lohnender, und sei es auch nur wegen der unterschiedlichen Anforderungen. An diesem Tag zum Beispiel arbeitete ich an den grundlegenden Informationen in einem Vermisstenfall. Eine Anwaltskanzlei, einer meiner regelmäßigen Kunden, versuchte, die Akten einer Sammelklage zu schließen, die sie vor Jahren gewonnen hatte. Ihre Buchhaltung hatte dazu geraten, ein Anderkonto aufzulösen, auf dem die Restsumme des Vergleichs lag, die für einen der Kläger vorgemerkt war, den sie allerdings noch finden mussten. Meine Aufgabe bestand darin, ihn oder seine Erben ausfindig zu machen und ihnen mitzuteilen, dass sie ein gewisser Geldsegen erwartete, oder aber aufzugeben, die Vergeblichkeit des Versuchs darzulegen und somit die Rechtfertigung
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