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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Leinenbettwäsche aus ihrer Aussteuer, unbenutzt!, die Nähmaschine, eine alte »Singer«, vollkommen tacko, Schrank, Tisch, Stühle – einfach alles. Die habennichts verschont. Na und dann? Passen Sie auf, was jetzt kommt: Dann haben sie sage und schreibe den ganzen Klumpatsch zur Müllkippe gefahren und dort einfach ausgekippt. So. Da hatten sie ihr Teil getan, sind noch zum Konsum und haben jeder zwei Flaschen Bier getrunken, und weg warn sie. Ja, und was dann passiert ist? Erzähl das nun aber auch! Man sachte, alles der Reihe nach. Also: Dann ist das halbe Dorf auf die Müllkippe und hat sich aus der alten Kroll ihrem Haushalt rausgesucht, was noch zu gebrauchen war. Ich persönlich habe für meine Frau, die die alte Kroll bis zuletzt gepflegt hat, die »Singer« geholt, die war ihr nämlich lange versprochen. Und da hab ich mit eigenen Augen gesehn, was der liebe Gott, wenn es ihn doch geben sollte, dem jungen Kroll nicht verzeihen wird: Da ist nämlich ein Wind aufgekommen, und da sind ein paar von den Bündeln aufgegangen, die da rumlagen, und da sind dann die Familienfotos der alten Kroll, alle ihre Urkunden und Schriftstücke und auch die Briefe von ihrem damaligen Verlobten aus dem ersten Weltkrieg umhergeflattert. Wißt ihr, was ich gedacht hab? Ich hab denken müssen: Wie verirrte Seelen, weiß auch nicht, wieso. Na jedenfalls: Der Sohn hat das alles nicht haben wollen. Bloß keine Erinnerung. Hier, sehen Sie selbst: die Heiratsannonce von der alten Kroll aus den Jahre fünfundzwanzig. Und hier: die Geburtsanzeige ihres sauberen Jüngelchens. Hans-Joachim. Mai siebenundzwanzig. Und nun sagen Sie mir bloß mal, was ist mit solchen Menschen los.
    Wir gingen dann bald. Luisa blieb schweigsam. Was ist wirklich mit ihm los? fragte sie nach langer Zeit. Diese Söhne. Wer hat ihnen, und wann, die Nabelschnurzur Vergangenheit durchgehauen. Wie ist in ihnen jedes bißchen Ehrfurcht abgetötet worden. Alle dachten wir an die Briefe und Lebenszeugnisse der Frau Kroll, wie sie über die wüste Müllkippe flatterten und nicht zur Ruhe kommen konnten.
    Erinnert ihr euch? Ohne Verabredung hatten wir uns in Irenes und Clemens’ Haus zusammengefunden. Die Freischaffenden auf ihrem Floß, sagte Clemens spöttisch. Bella, die plötzlich auch da war, sagte: Ich spring ab. Eines Tages spring ich da ab. Und wohin? fragte Ellen. Ins Wasser? Egal, sagte Bella. Da lern ich eben schwimmen. Soll ich euch mal sagen, sagte Irene, was Ellen jetzt denkt? Soll ich? Sie denkt: Wenn ich jünger wäre. Jenny sagte schnippisch: Dicht daneben ist auch vorbei, und Luisa blickte angstvoll mit kleinen, ruckhaften Kopfbewegungen von einem zum anderen. Clemens sagte: Ja, ja. Dieser Anspruch der Künstler, geliebt zu werden. Mein Gott. Wofür denn bloß.
    Das könnte man nun alles immer weiter erzählen, es lief ja auch immer noch weiter, Ellen zum Beispiel ging in den Garten, wo es dunkel war und nach Jasmin duftete, Jan folgte ihr, um ihr zu sagen, sie solle bloß nicht albern werden, sie erwiderte ihm, wenn sie mit Grund traurig sei, nenne er das immer albern, und so weiter. Zeit war vergangen, sie hatten es nicht gespürt, die Zeit, die jetzt verging, spürten sie. Aber was war denn geschehen, das fragten wir uns jeder für sich, und wir mußten uns antworten: Nichts Besonderes. Ellen und Jan blickten von draußen durch die kleinen Bauernfenster in die helle Stube, in der die Leute saßen, die noch vor zwei Minuten ihre Freunde waren und es in zwei Minuten wieder sein würden. Die da saßen in einer nachgeahmtenBauernstube, in die sie nicht hineingehörten; die Röcke aus bäuerlichen Stoffen und Arbeitshemden trugen, die ihnen nicht zustanden. Die gegrilltes Fleisch aßen, Rotwein dazu tranken und über die Baustoffversorgung in den kleinen Landstädten der Umgebung redeten, die sie sonst nichts angingen. Die Geschichte hatte weitergearbeitet. Leute unserer Art, dachte Ellen, verweist sie in diesem Land auf Inseln. Und da müssen wir noch froh sein, wenn die uns bleiben. Nur daß wir keine Inselmenschen sind.
    Das Gespräch, das inzwischen in der Stube angefangen hatte, paßte auf vertrackte Weise zu ihren Gedanken. Gerade hatten die westlichen Sender von einer Versuchsreihe berichtet, die ein paar weißbekittelte Sozialwissenschaftler mit Leuten von der Straße angestellt hatten: Mit Hilfe ihres autoritären Auftretens und einer technisch überzeugenden Versuchsanordnung hatten sie diese Leute dazu gebracht, andere Menschen, die sie nicht

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