Sommerstueck
bestimmteTiefe haben müssen, um die jungen Sträucher mitsamt ihren Erdballen aufzunehmen. Wie behutsam man sie wässern muß. Wie man die Erde von den frischen Maulwurfshügeln auf der Wiese holt und sie in den Blumentöpfen festdrückt, in denen man den Malvennachwuchs zieht. Wie man mit der linken Hand den Pflücksalat hält, wenn man ihn mit der rechten dicht über der Erde schneidet. Daß man mit gewissen Unkräutern den Kampf aufgeben muß. Und wie wir über all das ernsthaft und unspöttisch stundenlang reden konnten.
Das erste Dorffest, wißt ihr noch? Das große Zelt, das auf der Wiese beim Dorfeingang aufgeschlagen war. Und daß man uns wissen ließ, Sonnabend nachmittag könnten auch wir unter dem Stichwort »Hobby-Schau« das Kulturprogramm bereichern. Die junge spröde Bürgermeisterin kam extra vorbei, um mitzuteilen, was sie sich vorstellte. Sie stellte sich nämlich eine Art Basar vor, wie es ihn unlängst in der Bezirksstadt gegeben hatte. In bescheidenerem Rahmen, sagte sie, das schon, aber warum nicht. Solidaritätsbasar, man las das Wort dauernd in der Zeitung. Die Verkaufsobjekte waren dann im Genossenschaftsbüro auf Tischen und an den Wänden ausgestellt. Clemens’ Bilder hingen neben den von Herrn Bitterlich strikt fotoähnlich gezeichneten Porträts. Niemand konnte Kunst ernster nehmen als Herr Bitterlich. Er hatte ein Bein bei der Panzerschlacht im Kursker Bogen verloren, hielt sich zu den Zeugen Jehovas und brauchte seit kurzem einen Herzschrittmacher. Fräulein Seegen hatte eine grüne Filzweste ausgelegt und einen Wandteppich mit einer farbenprächtigen Applikation, die einen Hahn darstellte. Kunstvoll gehäkelteTopflappen neben schmiedeeisernen Zeitungsständern und Leuchtern, gestickte Kaffeedecken neben Bastflechtereien. Und dazwischen unser Beitrag: Bücher, ebenfalls selbstgemacht, bis zu einem gewissen Grad. Der Schulchor aus Groß-Plessow wurde auf der Treppe zum Obergeschoß postiert und sang für die Handvoll Laienkünstler »Schwarzbraun ist die Haselnuß« und »Wenn die bunten Fahnen wehen«, und dann kauften die Mitglieder des Schulchores fast alle verkäuflichen Gegenstände der Hobby-Schau auf, sogar die Bücher, denn aus dem Dorf waren kaum Leute gekommen, weil zu gleicher Zeit im Zelt der Bierausschank begonnen hatte. Aber der Bürgermeisterin wurden zweihundertdreiundneunzig Mark als Solidaritätsspende überreicht, und sie war sehr froh darüber. Sie dankte den Hobbykünstlern in einer kleinen vorbereiteten Rede, und die Leute im Zelt klatschten aufrichtig und lange. Es hatte alles seinen Platz und seine Richtigkeit.
Vor dem Eingang der Festwiese war ein blumenbekränzter Triumphbogen aufgestellt, »Herzlich willkommen!« stand darauf zu lesen, aber keiner ging unter dem Triumphbogen hindurch, alle gingen drum herum. Nur Littelmary mußte mit Luisa mitten durch den Triumphbogen gehen, mehrmals, wie konnte man eine solche Gelegenheit versäumen. Und dann auf die Berg- und Talbahn. Littelmary wollte auch schon alle Lose ziehen und den riesigen Plüschhund gewinnen, aber sie gewann nur einen kleinen gelben Gummitaucher, der an einer langen Leine hing und den sie in der Badewanne steigen und sinken lassen konnte. Er hat alle Katastrophen überdauert. Dieser Platz – das Dröhnen der Karussellmusik, das Schnarren des Glücksrads, die heiserenStimmen der Ausrufer, das An- und Ausgehen des grellbunten Lichterkranzes an der Glücksbude – war für Luisa und für Littelmary das wahre Leben. Hand in Hand konnten sie zwischen den Wohnwagen am Rand der Festwiese durchschlüpfen, sie konnten sich die Hälse verrenken, um einen Blick in das geheimnisvolle dunkle Innere der Wagen zu werfen, und sie konnten sehnsüchtig die Wäsche der Rummelplatzleute anstarren, die da auf der Leine hing. Auf den beiden Karussells konnten sie stundenlang vorwärts und rückwärts fahren, immer mit dem gleichen selig entrückten Gesichtsausdruck, konnten kreischen, wenn alle kreischten, Luisa konnte Bratwürste essen, so viele sie wollte, nicht ein einziges Mal wurde ihr schlecht. Jan ging nach einiger Zeit. Ellen hatte vorher gewußt, daß es ihr bald ein wenig langweilig würde, wie meist auf Rummelplätzen, seit ihrer Kindheit, und als sie merkte, daß es anfing, ging sie ins Zelt.
Drinnen war es so heiß und stickig, daß ihr aus allen Poren gleichzeitig das Wasser trat, man mußte sofort umkehren oder nicht darauf achten. Irene und Clemens winkten heftig, sie saßen schon mit den
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