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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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versteckte Kamera an dem Auftritt der Postfrau, wie die sich jetzt, unbefangen nach allen Seiten grüßend, durch die Tischreihen schob. Was sähe sie auf den Gesichtern, die sich ihr zuwendeten, in den Blicken, die ihr nachstarrten? Nichts. Gar nichts. Während die Dorfleute, und wir ja auch, den Mann der Postfrau, den einarmigen Herrn Schwarz, unseren Briefträger, in Schnee und Eis mitten im kalten Winter auf dem Hof jener stattlichen Person mit den dunklen Augen liegen sahen, die ihm ihre Tür nicht aufgemacht hatte, weil sie ihm nicht glauben wollte, daß er vom Rad gefallen war, sich ein Bein gebrochen hatte und nicht weiter konnte. Weil sie dachte, er sei wieder betrunken und wolle bloß das Verhältnis mit ihr wieder anfangen. Weil ihr Mann auswärts auf Montage war und weil weder er noch die Dorfmeinung ihr je verziehen hätten, wenn sie den Briefträger noch einmal zu sich eingelassen hätte. So machte sie ihm ihre Tür nicht auf, und er erfror, dreihundert Meter von ihrem Hof entfernt, und das Verfahren wegen unterlassener Hilfeleistung gegen sie wurde eingestellt, weil sie in Unkenntnis der Tatsachen gehandelt hatte, und damit war der Fall erledigt, und niemand hatteunsere Fassungslosigkeit geteilt, und wir hatten einsehen müssen, daß wir das Dorf nicht verstanden. Wenn es darauf ankam, verschloß es sich vor uns und lebte sein eigenes rätselhaftes Leben. Kein Urteil stand uns zu über die jungen Burschen, die jetzt schon betrunken waren und an ihren Tischen immer lauter zu grölen anfingen. Über die in mißfarbige Dederonblusen gezwängten großbusigen Frauen, die schwitzend miteinander auf der Tanzfläche herumhüpften, während die Männer, so schien es festgelegt, sich eben bei Dorffesten betrinken mußten. Ellen sah, die Frauen behandelten ihre angetrunkenen Männer wie große unvernünftige Kinder, keine ließ sich auch nur eine Spur von Ekel anmerken, als wäre das ein nichtwiedergutzumachender Verstoß gegen die Eheregeln gewesen. Ellen sah das verwüstete Gesicht von Uwe Potteck vorübertreiben, sie sah seine ehemalige Frau mit ihrem neuen Mann am Tisch der Traktoristen sitzen. Da hat sie aber was Reelles, sagte Frau Mackowiak, der neue säuft doch wie ein Schwein. Na, der alte ja auch. Heute gibts jedenfalls wieder jede Menge Schnapsleichen. Wenn bloß die Auswärtigen sich nachher nicht in die Scheunen verkriechen und in ihrem Suff anfangen, im Stroh mit Streichhölzern zu hantieren.
    Dann setzte der Chor ein, drängte das Solo von Frau Mackowiak zurück. Ob wir, fragten die Dorfleute uns, die alte Frau Kroll gekannt hätten, in dem Katen gleich links am Dorfeingang, wenn man vom Kater aus komme. Flüchtig hatten wir die alte Frau Kroll gekannt, die ja schon monatelang bettlägrig gewesen war, und daß sie vor kurzem gestorben war, wußten wir. Schön. Aber das Ende vom Lied, kannten wir das auch? Nein?Na, das war doch wirklich und wahrhaftig ein Stück aus dem Dollhaus. Also. Die alte Kroll war tot, da ließen sich endlich ihr Sohn und die Schwiegertochter aus der Stadt mal blicken, besser gesagt, sie kamen angerauscht. Neuer Wartburg, alles da. Aber daß bloß ja die Beerdigungsleute vor ihnen da waren und die alte Frau Kroll schon eingesargt hatten – dafür war gesorgt, was denken Sie denn. Wenn Sie etwa meinen, der Sohn hat seine Mutter noch mal sehen wollen – i bewahre. Der ist in sein Elternhaus reinmanöveriert, als ob der sein Lebtag keinen Katen von innen gesehen hatte. Un sien Fru – die ierst! Die ist rumgestakst wie son neumodscher Vogel. Was er ist, der Sohn, der soll ja wohl bei der Sicherheit sein. Der macht ja immer ein bannig großes Geheimnis aus sich selbst. Vor lauter Sicherheit redet der mit keinem Menschen mehr. Laß das man sein, wie es will. Klar doch. Ich sag ja bloß. Na jedenfalls – die alte Frau Kroll war eine ganz manierliche und reinliche Frau, das weiß jeder. Jeder kann das bezeugen. Und soll ich Ihnen sagen, was sie der angetan haben? Sie werdens nicht glauben. So wahr ich hier sitze: Den nächsten Tag schon, als die Herrschaften wieder abgerauscht waren, kam ein Laster an, mit zwei handfesten Kierls. Und die sind rein in der alten Frau Kroll ihren Katen und haben den ausgemistet. Das waren deren eigene Worte: Na denn mal los, wolln wir den Stall mal ausmisten. Na und denn sind die ja beigegangen und haben jedes einzelne Stück aus der alten Frau Kroll ihrem Haushalt auf ihren verdammten Laster geschmissen, gutes Geschirr dabei, einwandfreie

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