Sommersturm (German Edition)
Tante Betty!
Das
weiche Kissen unter meinem Kopf war nichts anderes als ihr Busen. Und der feine
Duft, der mich geweckt hatte, kam auch von dort. Es wunderte mich nicht, dass
sie ein raffiniertes Parfum benutzte. Das passte ganz gut in mein Bild
von ihr. Mein Oberkörper lag in ihrem Schoß, während sie selbst auf den kalten
Fliesen kniete.
Als
mir all das so richtig bewusst wurde, sprang ich hoch wie angestochen. Keine
Sekunde länger wollte ich hier liegen bleiben. Ich fühlte mich ausgeliefert.
Und über Tante Betty hatte ich noch nicht viel Gutes gehört.
Wortlos
riss ich die Tür auf und rannte aus dem Bad. Mit halbem Blick registrierte ich
noch, dass Betty mir hinterher schaute. Sie kniete noch immer auf den
eiskalten Fliesen. Die Tür stand sperrangelweit offen.
2
Nachdem
ich auf der Straße frische Luft geschnappt hatte, hörte ich schon vom Flur aus,
dass die ganze Onkel- und- Tanten- Versammlung sich noch immer im Wohnzimmer
rumdrückte. Inzwischen stritten sie heftig. Natürlich interessierte mich, was
sie so von sich gaben, wenn ich nicht dabei war. Ich drückte mich neben der
halb offenen Tür an die Wand und lauschte.
„Julian
muss in ein Heim!“ Deutlich erkannte ich Tante Marthas knarrenden,
harten Tonfall, der jetzt nichts mehr von dem lieblichen Säuseln hatte,
mit dem sie mir gerade noch das Ohr vernebelt hatte. „Wir haben keine
Wahl. Oder will ihn vielleicht irgendjemand von euch mit nach Hause
nehmen?“
Obwohl
ich nicht ins Zimmer gucken konnte, sah ich jetzt deutlich vor mir, wie Martha
ihren Raubvogelblick von einem zum anderen schweifen ließ. Niemand entgegnete
etwas. Keine Antwort ist auch eine Antwort.
„Na,
seht ihr!“ Sie schien erleichtert, eine so vernünftige Verwandtschaft zu haben.
„Das ist auch kein Wunder, bei dem Ruf des Jungen.“
„Werner
hat zuletzt sogar mit dem Gedanken gespielt, Julian in ein Heim für
schwer Erziehbare zu geben“, pflichtete Onkel Manfred bei. Werner war mein
Vater.
Manfred
hatte ich schon immer gehasst, schon als ganz kleines Kind. Er war einer von
der Sorte, die einen nett anlächelten, solange jemand dabei war, um einem dann
so fies wie möglich in den Nacken zu kneifen, sobald keiner mehr hinsah. Jetzt
sagte er: „Da kann man es wohl nach seinem Tod keinem von uns
zumuten ...“
Weiter
kam er nicht, denn ich stürzte wütend ins Zimmer. Ich war einen halben Kopf größer als er, dafür war er doppelt so breit wie ich, obwohl auch
ich nicht gerade als schmales Hemd durch die Welt lief. Sein Mundgeruch wehte
mir entgegen wie eine Fahne. Mit beiden Fäusten packte ich ihn am Kragen und
schüttelte ihn, was das Zeug hielt.
„Das
ist nicht wahr!“, schrie ich. „Sag, dass das nicht wahr ist! Mein Vater wollte
mich nie im Leben in ein Heim geben! Niemals, hörst du?“
Alle
starrten uns an. Keiner griff ein.
„Natürlich
ist es wahr!“, quetschte der erbleichte Manfred hervor. „Martha, sag du ihm,
dass es wahr ist.“
Aber
noch bevor Martha antworten konnte, hatte er sich mit einem plötzlichen Ruck
von mir losgerissen. Nun stürzte sich Paula, seine Frau, voller Besorgnis
auf ihn und fragte allen Ernstes, ob er einen Arzt brauche. Alle gerieten
in hellste Aufregung. In diesem Durcheinander fiel mir erneut Tante Betty auf.
Sie
saß allein auf dem kleineren Sofa, die Beine unter ihrem kurzen Kostümrock
übereinander geschlagen, rauchte genüsslich eine Zigarette und betrachtete das
ganze Theater mit einer Ruhe, die sie mir fast sympathisch machte, auch wenn
ich ihren Rock für die Beerdigung meines Vaters nicht gerade passend fand.
Niemand
achtete mehr auf mich. Unbemerkt pflanzte ich mich in die andere Ecke des
Sofas. Betty zog an ihrer Zigarette und lächelte mich an.
„Hast
du schon mal einen Haufen Hühner gesehen?“, fragte sie und blies mit gespitzten
Lippen einen Qualmfaden in die Luft. „Und zwar genau
in dem Augenblick, in dem die Katze mitten hineingesprungen ist?“
Fast
hätte ich laut gelacht, aber dann dachte ich erneut an meinen Vater, der jetzt
wieder bei meiner Mutter lag und das Lachen blieb mir im Hals stecken. All die
Andeutungen, die er über Betty gemacht hatte, gingen mir durch den Kopf. „Ich
kann jedem nur raten“, hatte er einmal gesagt, „sich von dieser Frau
fernzuhalten.“
Vor
allem Männern könne er das raten. Das habe auch Rosa, meine Mutter, schon immer
gesagt, obwohl es ihr weh getan habe, denn Betty sei nun mal ihre jüngste
Schwester
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