Sommersturm (German Edition)
sicher!“
Betty
wandte den Blick ab.
„Eigentlich
weißt du ziemlich wenig von mir“, sagte sie.
„Gibt
es denn etwas“, fragte ich, „das ich wissen müsste?“
Meine
Unruhe wuchs.
„Ich
weiß nicht“, sagte Betty.
„Wer
sonst?“, fragte ich.
„Ich
weiß es wirklich nicht…“, erwiderte sie. „Jedenfalls ist diese Frage viel zu
schwierig, als dass ich sie ausgerechnet in dieser Nacht ganz beantworten
könnte.“ Sie nahm einen langen Zug von ihrer Zigarette und drückte sie
dann aus.
„Ich
bin kein Unschuldslamm, das von aller Welt geliebt wird. Das weißt du genauso
gut wie ich.“
„Zwischen
‚jemanden nicht lieben‘ und ‚ihn überfallen‘“, sagte ich, „ist ja wohl ein
kleiner Unterschied.“
„Wohl
wahr. Aber die Typen wussten genau, mit wem sie es zu tun hatten. Sie
kannten sogar meinen Namen.“
„Sie
haben mit dir gesprochen?“, fragte ich aufgeregt.
„Geredet
hat nur einer.“
„Was
hat er gesagt?“
„Ich
soll aus der Stadt verschwinden.“
„Wieso
das denn?“ Ich war geschockt. Geschockt und völlig ratlos. Betty zuckte die
Schultern.
„Hast
du wenigstens die Stimme erkannt?“
„Er
hat geflüstert“, sagte sie. „Da erkennt man keine Stimmen.“
Ich fuhr zusammen. Allerdings nicht wegen Bettys Worten, sondern
weil ich nun doch angefangen hatte, ihr Gesicht zu
streicheln. Als meine Hand zurückzuckte, guckte sie mich kurz an, sagte
aber nichts. Dann stand sie auf und ging in ihr Zimmer.
Ein
paar Minuten später schlief ich ein, ich war total fertig. Wirre Träume
verfolgten mich. Zwei Stunden später wachte ich wieder auf und obwohl ich
hundemüde war, tat ich in dieser Nacht kein Auge mehr zu. Draußen regnete es
noch immer.
15
Ich
konnte mir absolut nicht vorstellen, dass der Kerl ein neuer Liebhaber von
Betty sein sollte: abgewetzter grauer Anzug, ausgelatschte Supermarktschuhe,
schlecht sitzende, nichts sagende Krawatte, modisch völlig daneben, das war
eigentlich Bettys Anti-Typ. Das einzige, was hätte passen können, war das
Alter: Mitte Vierzig. Aber das reichte nicht aus, in dem Alter waren
schließlich viele.
Betty
saß mit ihm im Garten, als ich von der Schule nach Hause kam. Nach den
Regengüssen der letzten Zeit schien an diesem Tag zum ersten Mal wieder die
Sonne und über der Stadt lag eine brütende Hitze.
Mein
erster Gedanke war, dass Betty nun endlich die Polizei eingeschaltet hatte.
Seit Tagen versuchte ich, sie dazu zu überreden. Der Typ sah irgendwie nach
Behörde aus. Schon aus einiger Entfernung glaubte ich den Büro-Muff auf seinen Kleidern
zu riechen. Ich dachte an die Kripo.
Ich
grüßte knapp und wollte mich gerade an den beiden vorbeidrücken, als Betty mich
aufforderte, Platz zu nehmen. Aus der Nähe sah der Typ nicht mehr ganz so
schlimm aus. Er hatte ein freundliches Lächeln, etwas Angenehmes war in seinen
Augen.
„Das
ist Herr ... wie war noch mal der Name?“ Betty wirkte seltsam befangen.
„Kullik“,
sagte er freundlich und taxierte mich neugierig. „Ich komme vom Jugendamt.“
Mir
fiel die Kinnlade runter: Jugendamt? Wieso Jugendamt? In meinem Kopf
ratterte es. Klar war nur, dass das mit mir zu tun haben musste, denn ich war
der einzige Jugendliche weit und breit.
Ich
ließ meine Tasche neben den Stuhl fallen und setzte mich. Ich versuchte, aus
den Gesichtern der beiden herauszulesen, wie ernst die Lage war. Kullik
lächelte noch immer und, ich konnte mir nicht helfen, es war ein wirklich
freundliches Lächeln. Bettys Gesicht aber sagte mir, dass es ein Fehler wäre,
dieses Lächeln als ein gutes Zeichen zu werten.
„Womit
kann ich dienen?“, fragte ich.
Kullik
hatte eine aufgeschlagene Akte vor sich liegen, die er jetzt einsah. Er fragte,
ob ich der sei, der ich bin und ob ich an dem Tag geboren wäre, an dem ich das
Licht der Welt erblickt hatte. Nachdem ich ihm das freundlicherweise bestätigt
hatte, lehnte er sich in seinem Stuhl zurück.
„Keine
Sorge, Julian“, sagte er dann. „Ich mache nur einen Routinebesuch. Ich darf
doch Julian sagen?“
Ich
nickte und wartete, was kommen würde. Ich glaubte nicht an einen Routinebesuch.
Da steckte mehr dahinter. Auch wenn ich nicht wusste, was das sein könnte. Ich
sah rüber zu Betty, doch ihr Gesicht verriet nichts.
„Mit
Ihrer Tante habe ich mich schon unterhalten“, fuhr Kullik fort. „Jetzt würde
ich auch gern noch ein paar Worte mit Ihnen wechseln.“
„Schießen
Sie los!“, sagte ich. Es klang
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