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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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wurden gefragt, was sie davon halten, daß jetzt alles auseinanderläuft. Die haben sich zum Grinsen entschlossen. Jüngere Offiziere wurden gezeigt, die jetzt in Kasernen leben müssen mit ihren Familien. Kleine Offiziersfrauen, kein warmes Wasser, auch in der Dusche nicht, und die Toiletten wollten sie nicht zeigen, so schrecklich seien die. In früheren Zeiten hatten sie Plumpsklos.
     
    Heute kam eine Menge Post. Eine Fandame schrieb mit Rotstift, daß sie immer mal wieder ihren Kempowski liest. In der Buchhandlung werde nur mitleidig gelächelt, wenn sie nach K. fragt. Verstehe ich nicht. Vermutlich bin ich bei den Leuten out. Was die wohl für vorbildliche Ansichten über Asylanten haben. Und daß der Kommunismus zusammengebrochen ist, darüber weinen sie in der Nacht ihr Kopfkissen naß.
    Leipzig schickte das Honorar für meinen Auftritt dort. Peinlich! Irgendwie werde ich das Geld wieder hinüberschaffen.
     
    Es gab Rührei und Spinat. Gestern Frikadellen.
    Salat habe soviel Nährwert wie ein feuchtes Tempotaschentuch, wird gesagt.
     
    Hildegard war gestern bei der Teppichtante in Worpswede. Ich zitterte davor, daß sie einen gekauft hat. Hat sie nicht, aber einen ins Auge gefaßt. Sie meinte, sie hat das in drei Tagen vergessen. Ich glaube das nicht.
    Während des Spazierganges taumelten Hunderte von Krähen über unsern Garten hin. Das waren Hitchcocks Vögel aus dem Jenseits.
    Habe ich schon geschrieben, daß mit der Post drei alte Klischees von Rostocker Stadtansichten kamen? Außerdem eine Blechschachtel mit Keksen.
     
    Ein Mann zur Wiedervereinigung:
    Ich habe immer Schwierigkeiten, wenn ich mit den Leuten drüber spreche. Immer gibt es Mißverständnisse.

Nartum Do 19. Dezember 1991, Regen
     
    I906: Leonid Iljitsch Breschnew geboren
    Robert 68 Jahre alt.
    Von Regentropfen aufgewacht, angenehm. Es schauert auf mein Mansardenfenster. Regen ist vielleicht die verrückteste Erscheinung in der Natur, Schnee die wunderbarste. Auf Regen reagieren die Menschen verrückt, mit Schirmen – dieser an sich ganz konsequenten Erfindung, bei deren Benutzung zwar der Kopf trocken bleibt, die Hosenbeine jedoch nicht – und mit Gummimänteln. Ich habe mal gelesen, daß die Steinzeitmenschen es fertigbrachten, ihre Pelze so geschickt zu nähen, daß die Nähte kein Wasser durchließen. Schnee ist hier ein Fremdling, bringt nur Verdruß, aber Regen? Eine meiner frühesten Erinnerungen: Ich spiele auf dem Teppich des kleinen Wohnzimmers, und der Regen klopft auf die zinkbeschlagenen Fensterbretter, nach und nach kommt die Familie nach Haus, die Lampe wird angeknipst.

     
    Robert und Walter Kempowski
    Am Tag der Toten fällt ein feiner Regen.
Gespenster drohen dir auf allen Wegen.
«Wo gibt es hier eine Schenke?»
fragt der Wanderer
und eilt dem fernen Licht
des Dorfs entgegen.
(Tao Te King)
    Früher habe ich mich geärgert, daß es in unserem schönen neuen Haus durchregnete, ich empfand das als Blamage. Heute ist mir das egal. Ich hoffe immer, daß das große Flachdach undicht wird, so wie es mir der Nachbar, Herr Pfeifenbring, lachend prophezeit hat, dann habe ich endlich die Chance, einen Dachdecker zu bekommen. Mit Flickerei geben sich diese Leute nicht ab. Pfeifenbring meinte, der Winkel, den das Dach bilde, gebe an, wieviel Jahre ein Dach hält: also 45° = 45 Jahre. Flachdächer bilden bekanntlich einen Winkel von 0°. Aber unser großes Dach hält schon seit 1978!
    Vielleicht hätte ich doch mehr Kontakt suchen sollen zu den Leuten von der Landsmannschaft. Die drehen jetzt drüben ganz schön auf. Ich fand das Heimatpathos störend. Jetzt werden sie drüben sagen:«Kempowski? Nee.»
     
    «Jedwede Hilfe wird gebraucht», schreibt ein Rostocker, er meint die Stadtschule, aus der man mich damals, 1946, rausschmiß, weil ich lose Reden führte und mich weigerte, Russisch – statt Französisch – zu lernen.
    «Die müssen wenigstens eine Kontonummer schreiben, sonst weiß man doch gar nicht, wohin mit der Spende!»(Hildegard). Typisch DDR, werben Spenden ein und lassen die Kontonummer fort.
     
    Frau Kupfer, die liebe, in Uruguay, deren Mann mir eine wunderbare Biographie schickte, schrieb, daß dort ein ganzes Jahr Poststreik war und daß der jetzt zu Ende ist. Man mache sich nicht die Mühe, die Postmassen zu verteilen, die würden einfach weggeschmissen.
     
    Wenn ich die KZ-Angaben von Danuta Czech abschreibe, denke ich immer: Hier wird dich der Judenrat eines Tages zur Verantwortung ziehen, weil du

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