Sonne über Wahi-Koura
erklomm, ahnte er bereits, dass er sie hier nicht finden würde.
Die Bibliothek war ebenso verlassen wie das Schlafzimmer. Das Bett war gemacht. Wütend trat Newman gegen den Bettpfosten, dann eilte er wieder nach unten.
Zurück bei seinem Pferd, blickte Newman verzweifelt die Straße entlang. Wo sollte er Helena nur suchen? Wohin hatte dieser verdammte Mistkerl sie verschleppt? Zane dachte angestrengt nach. Und plötzlich fiel es ihm ein.
Helena starrte auf das Papier vor sich, mit dem Manson sie die Nacht über allein gelassen hatte. Wie mochte es Laura gehen? Sie musste allmählich Hunger haben. Die Angst um ihr Töchterchen nagte so an ihr, dass sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Obwohl sie kein Auge zugetan und die ganze Nacht gegrübelt hatte, war ihr nicht eingefallen, wie sie sich aus dieser misslichen Lage befreien könnte.
Die Fenster!, erinnerte sie sich. Vielleicht gelingt es mir, die Bretter zu lösen.
Helena griff nach der Petroleumlampe und schritt vorsichtig den Raum ab. Dabei horchte sie auf die Vorgänge vor der Tür. Zweifelsfrei wachten dort noch immer Mansons Handlager. Aber es war schon lange her, dass sie miteinander geredet hatten.
Vor einem der Kellerfenster machte sie Halt und rüttelte an den Brettern. Sie waren so gut befestigt, dass die Bemühungen vergeblich waren. Auch beim zweiten Fenster hatte Helena kein Glück. Aber die Bretter des dritten Fensters bewegten sich immerhin ein wenig.
Ich brauche einen Hebel, dachte sie und sah sich suchend um.
Der Keller war bemerkenswert gut aufgeräumt. Nichts lag herum, alles war auf Regalen in Kisten verstaut. In einer Ecke neben einem der Regale fand Helena einen Besen. Während sie angestrengt lauschte, schob sie den Besenstiel in einen Spalt zwischen zwei Brettern.
»Komm schon!«, flüsterte sie, während sie versuchte, eines der Bretter loszuhebeln. Als ein leises Knacken ertönte, glaubte sie schon, es geschafft zu haben. Sie fasste den Besen etwas weiter hinten an und verstärkte die Bemühungen.
Da splitterte der Stiel.
»Nein!«, flüsterte Helena entsetzt. Alarmiert blickte sie sich zur Tür um. Hatten die Wächter das Geräusch gehört?
Als alles ruhig blieb, betrachtete sie die Bruchstelle des Besenstiels. Vor Verzweiflung schossen ihr Tränen in die Augen.
Ich werde es nicht schaffen!, dachte sie enttäuscht. Aber dann riss sie sich wieder zusammen. Weinen bringt dir nichts. Überleg dir etwas anderes!, befahl sie sich.
Nervös lief sie auf und ab. Die Sorge um ihre Tochter raubte ihr beinahe den Verstand, aber schließlich kam ihr eine Idee. Sie erklomm die Treppe und hämmerte gegen die Kellertür.
Der Mann, der ihr öffnete, musterte sie schamlos. »Na, Süße, hast du schon unterschrieben?«
»Noch nicht. Ich will erst zu meinem Kind.«
Der Wächter lachte. »Da hast du Pech gehabt. Erst die Unterschrift, dann dein Balg.«
»Es ist Stillzeit«, entgegnete Helena. »Sie wollen doch nicht, dass meine Tochter das ganze Haus zusammenschreit. Sie hat eine sehr gute Lunge.«
»Manson weiß schon, wie er ihr das Maul stopfen kann«, mischte sich der andere jetzt ein, der ebenfalls hinter der Tür gesessen hatte.
Obwohl sich Helenas Kehle zuschnürte, antwortete sie: »Wenn Manson meinem Kind etwas antut, unterschreibe ich diesen Wisch niemals. Also, was ist?«
Die Männer sahen einander ratlos an. Ist das ein Schimmer am Horizont? Helena versagte sich, das zu hoffen.
»Also gut, füttere deine Kleine!«, lenkte der erste Wächter ein. »Aber einer von uns kommt mit, damit du keine Dummheiten machst.«
Der zweite Wächter führte Helena einen muffig riechenden Gang entlang. Dielen knarrten unter ihren Schritten. Wo zum Teufel bin ich hier?
Hinter einer Glastür lag ein weitläufiger Raum mit hohen Fenstern. Das Mondlicht spiegelte sich in Glasscheiben, hinter denen sich offenbar Schalter befanden.
Die Schalterhalle der Bank! Manson hatte sie in der Bank eingesperrt. Helenas Herz tat einen kleinen Hüpfer. Wenn Zane nur lange genug nachdachte, würde er vielleicht darauf kommen.
Unwillkürlich war Helena stehen geblieben.
»Los, weiter!«, herrschte sie der Mann nun an und versetzte ihr einen Stoß, der sie vorantrieb.
Ihr Bewacher führte sie zu einer Tür im ersten Stock.
Ob Mansons Büro dahinterlag?
»Du hast zehn Minuten.« Der Mann riss die Tür auf und stieß Helena ins Zimmer.
Sie erblickte eine mit gestreiftem Stoff überzogene Sitzgruppe, eine Anrichte und ein mächtiges Bücherregal.
Weitere Kostenlose Bücher