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Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute

Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute

Titel: Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Till
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aber er war ein beschissener Bodybuilder und zehn Meter breiter als ich.
    Jetzt war es also so weit. Deutsch, mündlich. Ich brauchte nur einen lausigen Punkt zu schaffen, um mich in Zukunft Abiturient schimpfen zu dürfen. Ein lausiger Punk t – und dann nie mehr Schule. So ziemlich jeder, den ich kannte, freute sich darauf, die Schule zu verlassen. Sie sahen es als einen großen Schritt in Richtung Erwachsensein. Als ob erwachsen zu sein etwas ganz Tolles und Erstrebenswertes sei. Bullshit. Ich liebte die Schule. Nicht die Lehrer oder den Unterricht, natürlich. Niemand konnte die Lehrer oder den Unterricht lieben, jedenfalls nicht ernsthaft. Aber die Schule an sich, das Leben als Schüler liebte ich wirklich.
    Ich ging gerade die Treppe zum ersten Stock hinauf, als mich die Traurigkeit überfiel, wie so oft. Die Traurigkeit. Auf einmal war sie da, aber diesmal wusste ich wenigstens, warum sie gekommen war. Gott, wie mir das alles hier fehlen würde. Dieses graue Treppenhaus mit dem hässlichen orangenen Geländer würde mir fehlen. Rau m 217 mit meinem vollgekritzelten Tisch würde mir fehlen. Das rote Schließfach, Numme r 62, wo immer ein Sechserpack Bier auf mich wartete, würde mir fehle n – und die Mädchen. Alle. Nicht nur die hübschen oder die, die besonders sexy waren. Alle würden sie mir fehlen. Auch die unscheinbare Angela oder Angelika oder wie auch immer. Selbst diese Zicke Marion, die mich in Mathe nie abschreiben ließ, selbst sie würde mir fehlen. Ich mochte Mädchen mehr als alles andere auf der Welt. Es war schön, sie um sich zu haben. Auch wenn sie hinter vorgehaltener Hand über mich lachten oder mich wegen irgendwas anschrien. Ich mochte sie einfach. Alle.
    In 2 0 Minuten würden sie nur noch Vergangenheit sein. Die Vorstellung, in Zukunft nicht mehr jeden Morgen all diese Mädchen um mich zu haben, trieb mir einen dicken Kloß in den Hals. Was würde ich nur ohne sie anfangen? Was sollte ich überhaupt nach der Schule anfangen? Sicher, ich könnte an die Uni gehen und irgendeinen Müll studieren. An der Uni gab es auch viele Mädchen, bestimmt. Nur hießen sie dort nicht mehr Mädchen, sondern Frauen, und das war nicht dasselbe. Was sollte ich nur machen? Ich könnte die Prüfung vermasseln, dachte ich einen Moment lang. Gelernt hatte ich sowieso keinen Strich. Aber ich brauchte ja nur einen mickrigen Punkt und den würden sie mir wahrscheinlich schon geben, wenn ich akzentfrei und fehlerlos »Guten Morgen« sagte. Es half alles nichts. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter und ging zu Rau m 102. Ich klopfte an. Mit den Worten »Nur herein, Herr Sonnenschein!« wurde ich aufgefordert einzutreten. Sehr witzig.

zwei
    Ich öffnete die Tür und ging hinein. Sie waren zu dritt. Drei gegen einen. Sie saßen nebeneinander am Lehrerpult. Mein Deutschlehrer, Herr Radtke, eine mir völlig fremde Lehrerin und Herr Direktor Amsel höchstpersönlich.
    Er hieß wirklich so. Amsel. Er hatte tatsächlich den Namen eines dämlichen Vogels. Ich fragte mich, ob es auch Leute gab, die Wellensittich oder Papagei hießen.
    Direktor Amsel gab Geschichte, nicht Deutsch. Was zum Teufel hatte er in meiner Prüfung zu suchen? Dieser Trottel. In der Elf hatte ich ihn ein halbes Jahr in Geschichte. Er war so unfähig. Bei seinen Klausuren hatte fast jeder sein Geschichtsbuch auf den Knien liegen und er merkte es nicht. Einmal ging er sogar für zehn Minuten nach draußen. »Aber nicht abschreiben!«, sagte er und ging einfach raus. Dieser Trottel. Er war ungefähr 20 0 Jahre alt und ging dieses Jahr in Pension. Höchste Zeit.
    »Guten Morgen«, sagte ich akzentfrei und fehlerlos.
    »Guten Morgen, Herr Sonnenschein«, sagte Radtke.
    Drei Jahre lang hatte er mich einfach David genannt. Scheißprüfung.
    »Haben Sie sich gut vorbereitet?«, fragte er.
    »Das wird sich zeigen. Fangen Sie an!«
    »Gut, also. Beschreiben Sie die politische Lage in Heinrich Manns Roman Der Untertan in Bezug auf die Zeit, in der er geschrieben wurde.«
    Der Untertan. Heinrich Mann. Scheiße. Natürlich hatte ich dieses verdammte Buch nie gelesen. Ich hatte kein einziges von den verdammten Büchern in den drei Jahren gelesen.
    Alle Deutschlehrer hatten die Angewohnheit, ihre Schüler mit angeblichen Meisterwerken der Literatur zu Tode zu langweilen. Biedermann und die Brandstifter . Die verlorene Ehre der Katharina Blum . Don Carlos . Alles gequirlte Hundekacke. Nie gaben sie einem etwas Gutes, etwas wirklich Aufregendes zu

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